piwik no script img

Zwischen den RillenRiten der Passage

■ Tracks into World Music: Piranha auf Platte

Als überundeutlich umrissener Begriff befindet sich die Weltmusik in unmittelbarer Nähe zum Pop, auch wenn sie gerade dessen Strategie mimetisch unterwandert: „Angesichts der maschinenhaften Popmusik der westlichen Kulturindustrie sucht Piranha nach musikalisch-kulturellen Alternativen zur westlichen Kultur-Super-Power.“ Dieser Satz aus dem Begleitheft zur Roots-Compilation des Berliner Piranha-Labels liest sich wie die Einleitung ins Manifest einer sowohl multikulturellen als auch fundamentalistischen Poptheorie. Eine Alternative zu Madonna und Michael Jackson zu bilden, hieße dann zuerst einmal, sich der verschmelzenden Transästhetisierung zu entziehen und so etwas wie das eine Andere (oder andere Eine) auszubilden, sich aber der gleichen Medien, Vertriebskanäle und ähnlicher Imagemaschinerien zu bedienen wie der Pop. Sonst würde afrikanische oder arabische Musik nämlich bleiben, wo sie herkommt. Als „Welt Musik“ ist sie immer schon auf Reisen.

Den meisten Liedern liegt eine Bewegung zugrunde, die statt von aus-tauschbaren Zeichen für Sex und Politik vom sozialen Geflecht handelt, in das diese Pole eingebettet sind und deren Interessen in der Musik ausgetauscht – hin und hergetragen – werden: Etwa von Elisa We, die Laurina bittet, auf ihr Kind kurz aufzupassen, „denn ich muß weg, um zu sehen, wer mit meinem Mann tanzt“, wie es Conjunto Djambu aus Mosambik besingen. Bei Stella Rambisai Chiweshe wird die Migration bis hin zur Reise in andere Sphären ausgeweitet, wenn sie im Song „Ndinderere“ äußerst schmuckvoll und kommunikativ Zustände der Trance besingt, in die sie während der Darbietung fast verfällt. Das sie dabei begleitende Zupfinstrument, die Mbira, wird zweideutig als „Telefon ins Jenseits“ bezeichnet, gleichwohl aber zum Selbstschutz „beim einsamen, wochenlangen Wandern im Busch“ angewandt. Ein Sprachrohr zwischen Himmel, Hölle und Erde, von der Anerkennung einer banalen Kluft wie der zwischen Nord und Süd unberührt.

Dieser ständigen Bewegung entspricht die musikalische Auswahl des Berliner Labels, dessen Roots-Sammlung „Spuren zum Ursprung der Musik bündelt“, aber gleichzeitig auch den gegenläufigen Weg einschlägt und die traditionellen Klänge unter westeuropäischen Rahmenbedingungen auf Platte festhält. Kronkorken, die in einem großen Kürbis rasselnd auf ihre Digitalisierung warten. In diesem Vorgehen reflektiert sich neben der ökonomisch plausiblen auch eine technische Integration. Sie setzt weniger auf ethnologische Bestandsaufnahme als auf mediale Durchschlagskraft. Ein Song wie „Om Schar Asmar Me Daffar“ von Ali Hassan Kuban hat nicht nur den musikalischen Charakter eines Hits, er klingt auch so.

Piranha versucht jedoch mehr, als nur eine Brücke zwischen Pop- und Ethnostrukturen zu schlagen. Die meisten Produktionen stehen nicht als dokumentierte Beweise für richtig verstandene Anthropologie. Viel wichtiger und deutlicher ist die Aufzeichnung der musikalischen Passage, die jene Klänge aus der Fremde selbst erfahren. Sie vermittelt sich einzig im Konzert: als Ankunft und Weitergabe populärer Musikstile an ein mitteleuropäisches Publikum. Der Live- Mitschnitt des Orquestra Os Jovens do Prenda vom Heimatklänge-Festival 1990 etwa beschreibt einen faszinierenden Bogen, mit dem die Band aus Angola vom verhalten aufspielenden Tanzorchester zu mitreißend rebellierender Folklore übergeht. Der zu Beginn schüchtern nuschelnde Sänger fordert im weiteren Verlauf (auf deutsch) das Publikum eindringlich zum Tanzen, zum Mitmachen auf. Man hört der Aufnahme an, daß seine Botschaft ihre Empfänger erreicht. Die Tropen sind gar nicht mehr so trist. Harald Fricke

Verschiedene: Roots Piranha – Sound Tracks into World Music

Gerade erschienen: Orquestra Os Jovens do Prenda: Berlin Festa – The irresistible Kizomba Music of Angola. Beide im EFA- Vertrieb.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen