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Zwischen den RillenLiberale Lebemänner

■ Was sie wollten, was sie wurden: Ferry, Kravitz, Sting

Narziß als Popstar: Erst verliebt er sich unsterblich in sein Spiegelbild, dann stirbt er daran. Nach den blitzblanken achtziger Jahren winkt nun auch der Popmusik fast fröhlich das stumpfe Ende aus dem Schattenreich herüber und ruft: „Ich bin schon da.“ Von allen Revivals und Remakes hat nur die Idee der Assimilation ans Gleiche überlebt: Oldies und Evergreens, digitally remastered auf CD oder als Dancefloorhappen in Aspik.

Brian Ferry hat mit beiden Zeitgeistern des Mainstream seine Probleme: Er ist ein Engtänzer alter Schule und will sich seine Lieblingsmelodien weder vom überdrehten Technovolk noch durch gewitzte Werbestrategen in Sachen Oberbekleidung und Markenunterwäsche verderben lassen. Deshalb hat er auf „Taxi“ eine – wenn auch ziemlich safe – Sammlung mit gecoverten Schunkel-, Schmuse- und Beischlafliedern aus den Fifties und Sixties zusammengestellt, zu denen nun ein lauer Computerbeat pluggert. Mehr Rentnerband als Gala-Chill-out. Ferry, der in den siebziger Jahren selbst den „Hard Rain“ eines Bob Dylan stilsicher in prickelnden Dom Perignon verwandeln konnte, scheitert mittlerweile schon am Routine- Stomper „I Put A Spell On You“, den die großkalibrige Stimmungskanone Screaming Jay Hawkins gerade erst der Firma Levi's zum Abschuß freigegeben hat. Zu einem ätzend schlappen Beat fummelt Ferry doppelt so lange an der müden Voodoo- Liebeserklärung herum wie Hawkins im Original. Das beigelegte Infoblatt nennt dieses Mißverständnis ein „delikates Arrangement“.

Seit „Avalon“ klingt sowieso jeder Gesangshupfer von Ferry, als müsse er damit verkümmerte End-Twens zu Sex-Akrobatik auf waschmaschinenfesten Bettbezügen animieren. Inzwischen sind die Farben verblichen, das durchwühlte Laken taugt gerade noch zum Schuhputz, und auch die „All Tomorrows Parties“ von Nico und Velvet Underground sind nicht mehr lasziv, sondern lahm. Da nützt es nichts, wenn Ferry bei Sätzen wie „Is this moment pleasure“ von Tremolo zu Tremolo eiert, als wolle er sich mit einem Song wie „Will You Love Me Tomorrow?“ seine Gesangskünste atemübungshaft beweisen. Sollte es dem anerkannten Dauer-Dandy womöglich Ernst damit sein, „Emotionen zu relativieren und ihre Vordergründigkeit zu unterlaufen, damit diese Gefühle überhaupt noch glaubhaft zu vermitteln sind“ (Presse-Info)?

Ziemlich ungestüm eröffnet dagegen Lenny Kravitz seine dritte Reise ins Land der Rockpommel: Baßtöne, die wie fette Tannenzapfen in die Stapfen des Rhythmus plumpsen, flirrende China-Becken und ein rauher Gitarrenlauf der späten Cream – lauter Ähnlichkeiten mit dem großspurigen Frühsiebziger-Kiffer-Blues-Rock. Dazu der Einstieg in die Open-air-Saison mit einem Refrain gegen frühjahrsmüde Stubenhocker: „Are you gonna go my way?“

Doch hinter der Fassade hoher Marshall-Verstärker-Türme bröckelt allmählich das geschichtsbewußte Persönlichkeitsbild. Der Wüterich im Rampenlicht hat sich als gelehriger Peace- Rocker bis zum Punkt der allgemeinen Auflösung wegmimikriert. Dem Aussehen nach irgendwo zwischen Slash von Guns N'Roses und dem Urwuchs von Bob Marley, stellt der modische Spagat den Zitateschrammler vor eine letzte Frage: Rock oder Gerechtigkeitspop?

Dabei vermeidet Kravitz, mit seiner Spiegelfechterei wirklich Stellung zu beziehen. Die Texte durchzieht lockere Sympathie mit liberalen Liebesspielphantasien, ansonsten ist einzig auf Gott Verlaß – mal in esoterische Lyrikschwaden gehüllt und dann wieder enthusiastisch hippiegläubig, wie aus dem studentischen Liederbuch zum europäischen Christen-Groove abgeschrieben: „Just put your faith in god and one day you'll see yeah“. Dazu gesellen sich unfreiwillige Nonsense-Zeilen wie etwa „Lay your body next to mine“, und dann kracht es aus den Verstärkerwänden von neuem.

Brüllend und säuselnd dreht sich Kravitz im Kreis, während um ihn die bekannten Größen tanzen. Die breite Streuung, mit der er sich bislang zwischen Lennon-Nettigkeiten und Mayfield- Flair bewegt hat, ufert mittlerweile in x-beliebige Kopien aus. „Black Girl“ baut auf einem plump nachgespielten Hendrix- Riff auf, „Sister“ hat Kravitz offensichtlich bei den Stones abgeguckt, und für das elegische Solo- Gejamme wird er die Tantiemen an Jimmy Page abführen müssen. Sonst passiert eigentlich nichts. Die Platte ist auf den Februar/ März-Sound von 1972 zugeschnitten worden, wahrscheinlich eher aus interesselosem Wohlgefallen als clever kalkuliert (um dem Sound of Seattle eins auszuwischen). Ich glaube, ich habe diese Platte schon vorher gekannt.

Mit dem Schlimmsten hatte man bei Sting rechnen müssen: Noch mehr verquaster Freud und selbsterklärtes Leid. Nachdem ihn aber die Seelenbäder der letzten Platte scheinbar selbst in Verlegenheit gebracht haben, ist er auf „Ten Summoner's Tales“ ins andere Extrem umgeschlagen und hat eine verwirrend wahnsinnige LP zum Guten, Wahren, Schönen aufgenommen, die man in dieser Art wohl nur noch von Costello oder John Cale erwarten konnte: Popmusik für die Galerie. Statt an Shakespeare, Regenwald oder Psychoanalyse anzuknüpfen, läßt Sting die Zügel des Herzens schleifen und entwickelt zum ersten Mal seit den Tagen von Police so etwas wie Humor und Fröhlichkeit. Auch wenn der Prolog, das „If I Ever Lose My Faith In You“, zu Beginn noch wie eine Kantate für den Thomaner-Chor daherkommt, spielt der immer als verbohrt geltende Großkultur-Komponist mit sämtlichen Schemen Katz und Maus. Da trudelt in „Love Is Stronger Than Justice“ eine Gletschergitarre vorbei, schrammelt drei Country-Akkorde und verschwindet wieder; eine Mundharmonika bläst sich im Stakkato durch die Strophen, und der Schlagzeuger experimentiert wild mit halbierten Tempi: Country im Siebenvierteltakt, aber nicht schulmeisterlich verbrämt, sondern einfach nur aus Jux und Dollerei am Zwitterwesen, das plötzlich in Sting zu stecken scheint.

So kann er auch bei „She's Too Good For Me“ im Swing galoppieren, einen jungsmäßigen Refrain frei nach Police abgröhlen, um dann auf einmal Gershwin und André Previn zu entdecken, die er für dreißig Sekunden Musical augenzwinkernd schmachten läßt. Jazz, Vaudeville, Paris 1919 – ein Stück wie „Seven Days“ vereint alles in einer endgültigen Popversion, eine, die sich obendrein darüber im klaren ist, daß der ganze hier aufgefahrene Bildungsüberschwang auf leichtem Fuße lebt, so wie die unentwegt aufsteigende funkige Tonfolge im Epilog. Womöglich hat gerade Sting recht: „Es geht immer weiter.“ Harald Fricke

Brian Ferry: „Taxi“ (Virgin)

Lenny Kravitz: „Are You Gonna Go My Way?“ (Virgin)

Sting: „Ten Summoner's Tales“ (A&M, Polydor)

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