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Zwischen den RillenThe Snapshot Competition

■ Leicht verwackelt, aber herzlich: Live-Platten, mal anders

Live-Platten sind der feuchte Traum jedes profitorientierten Plattenfirmenmenschen: Konzerte werden jenseits teurer Studiostunden selbst wieder zum Produkt.

Live-Alben gehören aber auch zu den überflüssigsten Ritualen des Pop-Geschäfts. Nicht selten dienen sie genervten Künstlern dazu, lästige Vertragspflichten zu erfüllen. Auch helfen sie, kreative Löcher gewinnbringend zu stopfen. Vor allem aber sind sie schnöde „Greatest Hits“-Potpourris, die dem Konsumenten sentimentale Befriedigung verschaffen sollen. Wer sich ein Genesis-Live-Album kauft, will die Bestätigung für sein eigenes Dabeigewesensein kaufen. Und da sich das Hannoveraner Konzert der „Supergruppe“ XYZ in einem gigantischen, perfekt organisierten Tournee-Weltzirkus kaum von der Show in Birmingham, Madrid oder Dallas unterscheidet, fällt die Identifikation nicht schwer, egal, wo die Fans gerade zuhause sind.

Doch es gibt auch Live-Alben, die nicht den handelsüblichen Spielregeln folgen – und das sogar an gänzlich unvermuteten Orten. Das amerikanische Radio-System, das Musik um der lieben Werbung willen in streng genormte Formate packt – und dabei fast alles gnadenlos unter den Tisch fallen läßt, was sich zwischen den Stilen durchhangeln will – wird zu Recht wegen dieser Schubladenwut kritisiert. Es produziert im Gegenzug aber auch Ausnahme-Programme, die selbst öffentlich-rechtliche Kulturmacher hiesiger Provenienz neidisch machen sollte.

In Charleston/West Virginia beispielsweise ist die Mountain Stage-Radioshow zu Hause, die wöchentlich drei oder vier Künstler live ins Studio bittet und dabei von über hundert Stationen zwischen Ost- und Westküste übernommen wird. Für zwei CDs (denen weitere folgen sollen), haben die Mountain Stage-MacherInnen jetzt erstmals einen Griff ins gutbestückte Archiv gewagt. Und der fällt erfreulich undogmatisch aus, ganz abgesehen davon, daß alle Performer der Kategorie „Verstehen-ihr-Handwerk“ genügen müssen. Heißt: Sie haben entweder zu wissen, wie man einen (im traditionellen Sinne) guten Song schreibt – oder doch zumindest, wie ein guter Song zu interpretieren ist. Das Spektrum reicht von britischer Folk-Tradition über Zydeco und New- Orleans-Piano bis hinein ins tiefste Texas. Es gibt aber auch weißen Soul und Singer/Songwriter- IndividualistInnen.

Bei all dem machen sich die Mountain Stage-Leute die alte Idee der „Hausband“ auf erfrischende Art und Weise zunutze: Wer gerade nur solo unterwegs ist, aber trotzdem nicht ganz allein auftreten möchte, kann auf versierte Lokalmusiker zurückgreifen, die immer für die eine oder andere Arrangement-Überraschung gut sind. So wird selten Studioperfektion reproduziert, um so öfter aber ein einmaliger Schnappschuß festgehalten, der selbst (oder gerade) dann noch Sympathie weckt, wenn er leicht verwackelt ist.

Als Spielwiese jenseits eingefahrener Tour-Programme begriff auch Warren Zevon seine Solo-Konzerte. Der Wahlkalifornier aus Chicago, der weite Teile der Achtziger fast ausschließlich mit dem Leeren von Wodkaflaschen zubrachte, war im vergangenen Sommer bzw. Herbst in Europa unterwegs.

Der düsteren Söldner-Parabel „Roland The Headless Thompson Gunner“ bereitet der Bartok- Fan Zevon mit einem wuchtigen Klassik-Intro angemessen den Weg. Das Akustik-Gitarren- Chaos, das „Jungle Work“ beschließt, degradiert den letzten, weißen, „alternativen“ Rock- Trend namens „Grunge“ zum netten Zeitvertreib.

Natürlich gibt es auch Durststrecken – wie halt in fast jedem Konzert. Als Ersatz-Dylan mit Mundharmonika ist Zevon nicht gut genug bzw. schlechter als die Songs (etwa „Lawyers, Guns And Money“), die er dabei runterraschelt. Und dann noch diese überflüssige Begrüßung in gebrochenem Spickzettel-Deutsch! Auch handelt Zevon, der einst der Seventies-Koks-Schickeria made in L.A. gnadenlos den Spiegel unterschob, seine Hit-Oldies wie „Werewolves Of London“ eher lieblos ab. Ausnahme: „Hasten Down The Wind“, anno 76 durch Linda Ronstadt bekannt geworden. Hier ist das Stück in einer erstaunlich zarten, gebrochenen Interpretation des Autors zu hören. Drei neue Songs gibt es auch auf „Learning To Flinch“, Songs, in denen sich Zevon, dem ironischen Unterton zum Trotz, doch etwas unangemessen zum „Piano Fighter“ hochstilisiert – während ihm das von schneidenden Slide- Gitarren-Sounds durchzogene „Warrior King“ am besten gelingt.

Während Zevon auf seinem zweiten Live-Album (nach dem ausgezeichneten Club-Mitschnitt „Stand In The Fire“ von 1980) eine nach vorn schauende Zwischenbilanz seiner bisherigen Karriere zieht, dient „King King“ einem für Live-Platten gänzlich unüblichen Zweck: der Vorstellung einer neuen Band. Dabei gehören The Red Devils im „King King“-Club zu Hollywood schon fast zum Inventar. Das PR-Blatt flüstert ganz aufgeregt davon, daß gelegentlich sogar Film- und Show-Prominenz zur Stelle ist, wenn das Quintett um den Sänger und Mundharmonikaspieler Lester Butler allwöchentlich aufspielt.

Produzent Rick Rubin fragte sich zu Recht, was er denn wohl mit dieser Band unter herkömmlichen Studiobedingungen anfangen soll – und ließ lieber gleich die Bandmaschine im „King King“ mitlaufen. Die Red Devils spielen einen bösen, schmucklosen Rhythm'n'Blues konventionellen Zuschnitts, der sich aus „eigenen“ wie tradierten Quellen speist und gerade auch durch seine hartnäckige Weigerung, großartig „originell“ sein zu wollen, überzeugt. Hier steht eine laute Party-Band auf der Bühne, die nicht mehr sein will als eben eine laute Party- Band. Und das kann ja auch gelegentlich guttun. Jörg Feyer

Various Artists: „The Best Of Mountain Stage“, Vol.1& 2

(Phonogram)

Warren Zevon: „Learning To Flinch“ (Wea)

The Red Devils: „King King“ (Def American/Phonogram)

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