Zwischen den Rillen: Reiben Mensch-Maschine
■ Unerhörte Musik oder bloß „irgendwie kalt“? „Say No More“ von Bob Ostertag
Daß Musik nicht immer aus der Gruppe kommt – nicht gerade eine neue Erkenntnis. Daß aber das Zusammenspiel aufeinander eingehender Musikanten vom Geniestreich eines isoliert kreativen Egomanen abgelöst wird, ist doch zumindest im Jazz eine recht aktuelle Tendenz. Sicherlich gab es auch dort immer einzelne Köpfe, denen die Begleitband hauptsächlich als Statisten diente, aber meist wurde denen doch noch ein Rest an Lücken zugestanden, die sie mit eigener Improvisation füllen durften.
Daß der Zahn der Zeit eher von einer anderen Ecke aus nagt, bewies zuletzt Wynton Marsalis mit seinem monumentalen – und vor allem von vorne bis in das letzte kleine Nötchen durchkomponierten „Citi Movement“: Der Rest des Septetts darf nachspielen, was der Meister vorgegeben hat, aber nicht interpretieren. Den sechs bleibt nicht einmal mehr der Spielraum der klassischen Musik.
Bob Ostertag, graue Computereminenz der New Yorker Avantgardeszene und früher viel mit Leuten wie Fred Frith zugange, ging bisher einen anderen Weg. Seine auf Sampling beruhenden Werke waren zwar egozentrische Übungen an der Tastatur, aber doch ließ der Produktionsprozeß dem Zufall Spielraum. Das Reiben Mensch-Maschine ersetzte das Reiben Mensch-Instrument-Mensch-Instrument. Und im Live-Zusammenspiel mit fleischlichen Instrumentenbedienern wurde gegengeprüft, ob die – glaubt man dem Klischee – so seelenlosen Computerklänge in einen Jazzkontext einzubauen waren.
Für sein aktuelles Projekt „Say No More“ hat sich Ostertag einen ganz besonders perfiden Plan ausgedacht, um die menschliche Kreativität im Jazz zwar nicht abzustellen, aber doch auszuhebeln. Dazu lud er die Percussionisten Gerry Hemmingway und Joey Baron, den Bassisten Mark Dresser und den Trompeter – hier allerdings ausschließlich als Sänger tätigen – Phil Minton ins Studio. Aber, und das ist der Witz: getrennt voneinander. Die vier ließ er einzeln und ohne jedes vorgegebene Konzept drauflosspielen. Diese Improvisationen sampelte er und mischte daraus ein Ensemble, das mal original, mal von Ostertag behandelt nun „nebeneinander“ herspielt.
Die vier in allerlei Avantgardeunternehmungen beschäftigten Musiker (so Baron bei Naked City oder Hemmingway beim Anthony Davis Ensemble) konnten also ganz ohne kompositorisches Korsett ihre Version von Musik, die gespielt werden sollte und bisher nicht gespielt wurde, abliefern. Sich vielleicht gar um so etwas wie die Essenz des Jazz, die letztgültige Improvisation bemühen. Doch danach führte Alleinherrscher Ostertag die Musiken in einen imaginären Bandzusammenhang, gegen den wiederum sich die „Ensemblemitglieder“ noch nicht einmal wehren konnten.
Das Spiel mit den rüden Wechseln zwischen absoluter künstlerischer Freiheit und zentralistischer Egomanie hat die zu befürchtenden Folgen. Die beiden, jeweils cirka 20 Minuten langen Stücke auf „Say No More“ erwecken eine ähnliche Verwirrung wie manche Filmmusik, wenn sie ohne Bilder abläuft; und erinnern natürlich an Avantgardekomponisten, die ein hörbares Abbild der sie umgebenden Welt nachzeichnen wollten – und zu diesem Zweck Alltagsgeräusche in ihre Werke einbauten. Doch Ostertag hat keine Geschichte, die er erzählen will, keinen lebendigen Raum, den er abbilden möchte. Er macht ohne eigene Vorgabe aus vorgabenlosen Geräuschen ein nicht vorhandenes Konzept. Die einzige Klammer ist der Computer. Aus L'art-pour-l'art wird Meta-L'art-pour-l'art.
Wenn Ostertag das erreichen wollte, hat er Erfolg gehabt und vielleicht tatsächlich einen künstlerischen Ausdruck für das kommende Zeitalter, beherrscht von virtuellen Realitäten, geschaffen. Doch obwohl Computer mit Menschen und sogar untereinander kommunizieren können – den eigentlichen Rechenvorgang, was die Maschine ausmacht, kann man weder sehen noch riechen, noch schmecken. Und eben auch nicht hören. Und was man nicht hören kann, kann man in Musik eben auch nicht wiedererkennen. Auch wenn bei Ostertag hin und wieder (doch dann fast parodistisch überhöht) ewiggleiche, gesampelte Loops vorkommen, wie man sie aus HipHop oder Techno kennt, ergibt das keinen Wiedererkennungseffekt oder gar eine Möglichkeit zu gefühlsmäßiger Nähe zur Musik; jedenfalls kein Gefühl, das über ein plattes „Das hört sich irgendwie kalt an“ oder ähnliche Klischees hinausgeht, die schon immer computergesteuerte Musik, ob sie nun „Synthie-Pop“ oder „Avantgarde“ hießen, begleiteten.
Die nächste Brechung kommt bestimmt. Ostertags Musiker probten die aufgenommenen Stücke ein und führten sie live auf. „Say No More in Person“ wurde ebenfalls aufgenommen und wird wohl demnächst erscheinen. Thomas Winkler
Bob Ostertag: „Say No More“, RecRec Music.
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