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Zwischen den RillenNix mehr mit Popnäschen

■ Die Stone Roses haben nach fünf Jahren Pause ein Rockalbum aufgenommen

Scharf im Hirn gebohrt, und ran geht's an die Windungen mit den verwinkelten Erinnerungen: Wer, zum Teufel noch mal, waren die Stone Roses? Lange, lange Zeiten ago, über fünf Jahre ist es her, da waren die Jungs aus Manchester Teenies und anderer Leute Stars und Lieblinge; hatten ein aufregendes Debut hingelegt, hatten Sounds, Moden und Stimmungen mitbestimmt; sie waren die ersten, die der unbeirrte Freund des britischen Guitar-Pop als Rave in die Ohrmuschel gerieben bekam; waren die Lok, die später die Happy Mondays, die Charlatans oder Primal Scream in ihrem Schlepptau hatte. Dance- und Gitarrenpop gingen für kurze Zeit eine adrenalinhaltige, stimulierende und erfolgreiche Allianz ein, und jede noch so langweilig schrammelrockende britische Band fütterte plötzlich ihren Sound mit einem tanzkompatiblen Beat, um den Top of The Pops zu landen. So ging es ein, zwei Jahre hoch her: England ravte, England träumte und hatte bis dato ein letztes Mal das Popnäschen vorn. Bloß die Stone Roses, die saßen auf ihrem „Fool's Gold“, gaben sich lustlos, verzichteten auf den platinverdächtigen Nachfolger, stritten mit ihren Plattenfirmen und machten sich rar.

Nun kommen sie doch noch, ein zweites Mal. „Second Coming“ haben sie das Album mit der Instinktsicherheit derer betitelt, die von vornherein glauben, daß es nimmer so schön und intensiv wie beim ersten Mal werden kann. Sehr genau scheinen sich die Stone Roses der Vergeblichkeit bewußt zu sein, der verlorenen Zeit hinterherzulaufen. Nur scheren tun sie sich trotzdem keinen Deut darum: Der Versuch, ein zweites Mal zum Tanz zu laden, wird auf diesem Album mit einer brutalen Tour durch zwölf größtenteils sehr lange Songs unternommen. Ununterbrochen vibrieren da in allen Tonspuren die Beats, unermüdlich wird die Illusion eines ewigen Grooves vorgegaukelt – schließlich soll es ständig in den Körpern zucken. Daß dabei die Gitarren neben den ständig wabernden Keyboards immer noch die Lieblingsspielzeuge der mittlerweile Herangereiften sind, wird gewissenhaft vorgeführt; so exzessiv, daß man sich teilweise gar an ermüdenden, dinosauriermäßigen Schmock- und Rocksoli versucht. Schnell drängt sich denn auch der verräterische Verdacht auf, die Band würde ganz posttrendy über den großen Teich schielen, um noch ein paar grungige Fans zu ködern. Daß man da besonders in England immer noch wie das Kaninchen vor der Schlange hockt, beweisen jedoch viel mehr als die Musiker vor allem Englands Rockschreiber, die den Brit- Bands unermüdlich die Frage nach Amerika stellen und, wie gerade wieder „The Face“, zum tausendsten Mal ihren LeserInnen erklären, daß „die neue Amtssprache des amerikanischen Pop eben aus Schmerz und Qual und Masochismus besteht“, am sinnfälligsten vorgeführt von Bands wie Pearl Jam oder den Smashing Pumpkins. Was natürlich überhaupt nicht Stärke und Anliegen der Stone Roses ist. Deren große Momente bestanden damals in einer gelungenen Verbindung aus kühl-trockener Unnahbarkeit und einem hymnenhaften Wir- hopsen-alle-zusammen-und- sind-jung-und-munter-und-auch- ein-bißchen-Traurig. Auf „Second Coming“ mögen sie einfach nur cool und abgewichst sein. Ein einziges Mal klingt noch dieser melodiös-gemeinschaftsstiftende Sinn an: Der „Ten Storey Love Sing“ seiert wie ehedem und vermittelt diese spezielle „Song for Christmas, Song für Afrika“-Atmosphäre – dort, wo man sich flauschig und wohl in den Schlieren des hymnenhaft-orchestralen Popraums aufgehoben fühlt. Ganz übergangslos entlassen sie uns aber gleich darauf in einen tanzrockenden Alte-Männer- „Daybreak“, und später werden gar die „Good Times“, die wieder rollen sollen, beschworen, wobei eine übel funky knarzende Gitarre in den Beat reinpfuscht. Manchmal hört sich das geradezu operettenhaft an, nur konsequent psychedelische Monotonien schützen da noch vor Queen, John Miles oder Pink Floyd.

Tja, eigentlich hätten die Stone Roses das Zeug gehabt, die Erstgeborenen vor Take That zu werden. Das war ihnen zu fad, nun geben sie sich als Jäger des aus eigener Luschigkeit verlorenen Schatzes. Was ja auch ehrbar ist, denn: Wer traut sich heute noch, so was Angestaubtes und Gestriges wie Rave zu konservieren? Die Stone Roses ignorieren souverän, ja geradezu arrogant jegliche aktuellen britischen Strömungen, schießen auf Glitzer à la Pulp und Auteurs, auf traditionellen Blur-Pop, auf gefaketen, revitalisierten Punkrock, tun gerade so, als wären fünf feindliche Jahre rein gar nichts gewesen. Die Popwelt hat sie wieder, und wenn wir diese Band nicht hätten, wir bräuchten sie auch nicht (mehr). Gerrit Bartels

The Stone Roses: „Second Coming“. Geffen Records/MCA/ BMG.

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