Zwischen den Rillen: Soviel Frühling war nie
■ Wiederveröffentlicht: Manfred Krug als Sänger
Manfred Krug. Sie dachten vielleicht, Sie wüßten alles über ihn. Zum Beispiel, daß er Bargeld und Oldtimer sammelt, mit Jurek Becker gern ein Schultheiss trinkt und neuerdings Liebling Prenzelberg genannt wird. Daß Frau Krug Mannes dreckige Hemden mit Megaperls wieder hinkriegt. Und wenn Sie nicht nur halbgebildet sind, wissen Sie sogar, daß Manfred Krug zu DDR-Zeiten drei (heutzutage hoch gehandelte) Amiga-Langspielplatten, und zwar jeweils in 100.000er Auflage, veröffentlicht hat. Aber eines wissen Sie nicht. Manfred Krug war in einem früheren Leben nicht nur Schauspieler und Sänger, sondern auch Texter und hieß als solcher Clemens Kerber.
Diese Information müssen Sie unbewiesen hinnehmen, denn auf dem Cover der hier vorzustellenden CD steht „Text: Clemens Kerber“. Die Scheibe enthält (warum?) nur die beiden ersten Krug-Alben und macht überhaupt den Eindruck einer etwas lieblosen Wiederveröffentlichung. Nicht einmal die Erstveröffentlichungdaten sind vermerkt (Krugs Debüt-LP „Das war nur ein Moment“ erschien im schönen Monat Mai 1971. Die zweite, „Ein Hauch von Frühling“, wurde 1972 nachgeschoben, und 1975 nahm Krug eine Kollektion Evergreens auf – „Greens“). Allerdings übernimmt diese CD hier vom Originalcover des '71er Debüts ein hübsches Gespräch, in dem Krug bekennt, seine Vorbilder seien „fast alle Jazzsänger“.
Die CD-Version von „Green“ gab es 1992 aparterweise als Sonderangebot einer großen Supermarktkette. Sie dürfen sich also ruhig ein bißchen freuen, daß es die Krug-Werke wenigstens teilgesammelt zu hören gibt. Denn soviel „Liebää“, soviel „Frühling“ war nie. Die Unterhaltungskunst der DDR, fest entschlossen, ernstzunehmende Kunst zu produzieren, lief im Fall Krug zu Großartigkeit auf. Nein, es mußte schon mehr sein, als ein ordinärer Schlager, nämlich Jazz, Chanson und „moderner Beat“ in einem. Ein bißchen Scat-Gesang, eine Prise Michel Legrand, eine Mütze voll Soul („Hör auf“). Kerber/Krug textete, wie junge Menschen in den sozialistischen Siebzigern die Liebe so fühlten, und stellte den flotten Hirsch am Mikrofon. Günther Fischer, mit seinem eleganten Light Jazz der Sonnyboy des DEFA-Films, zeichnete für Musik und Arrangements. Gerhard Siebholz, der Papst des DDR- Schlagers, hat jedes Stück gewissenhaft überproduziert. Man wird auf einer Länge von 78 Minuten zwanzigmal vom Sound erschlagen. Großalarm für sämtliche Bläser, Streicher, Trommeln, Gitarren, Baß und eine einsame Flöte. Hat natürlich seine Richtigkeit.
„Das ist das Schauderhafteste, was ich je gehört habe“, wimmerte ein unwissender Altbundesbürger kürzlich bei Vorführung dieser Eckpfeiler meiner ästhetischen Erziehung. Die Bemerkung war sachlich falsch. Setzen doch Manfred Krugs gesungene Werke die Dialektik von Inhalt und Form trefflichst um. Das erste Lied der Debüt-LP, „Du sagtest leider nur ,Gut' Nacht‘“, ist pure (glückliche!) Verliebtheit in der Anfangsphase, und dieselbe beschleunigt den Stoffwechsel bekanntlich enorm: Frauen werden dünner, Männer auch. Man stelle sich vor: Das Paar sitzt in seinem möblierten Zimmer, nach dem Kaffee wird Wein serviert, man „legt eine Sohle aufs Parkett“ – kurzum, „reizend war der Abend/ so erfrischend und so labend“. Krug in der Rolle des Verliebten gackert glücklich, obwohl da ja eigentlich noch ein fieser Konkurrent ist, „mit Schultern wie ein Turm vom Kölner Dom“. (Erstaunlich, daß man 1971 noch mit einem feindlichen Dom verglich. Warum nicht „Schultern wie der Moskauer Kreml“? Hat keiner aufgepaßt?) Weil Verliebtheit mitunter aber auch ein bißchen zart ist, sorgt Günther Fischer für Breaks, in denen er und Ulrich Gumpert, auch ein namhafter DDR-Jazzer, am Piano klimpern. Das klingt nicht nur toll, sondern tolltoll – soviel „Liebää“, soviel Überschwang war nie.
Oder nehmen Sie „Frag' mich, warum“. Ich würde gern mal wieder heiraten, nur um dabei dieses WW (= wundervolle Werk) abspielen zu lassen. Posaunen und Trompeten. Liebe, Treue, Standesamt. Alles ist ganz einfach. Daß Reinhard Lakomy (ex-berühmter Liedermacher) an der Orgel sitzt und der Gerd-Michaelis-Chor, Manne Krug flankierend, „daß ich dich liebä/ liebää/ liebä/ liebä/ liebää“ kreischt, löst nur das nostalgische Nebengefühl aus.
Diese Lieder erbauen den funktionierenden Liebes-Kosmos. Ist es tatsächlich mal „Nacht, ich träume düster“, dann schaltet sich ein Erzähler ein, der unglückliche Verliebungen sogleich ein wenig in die barmherzige Sonne rückt. „Ach, nicht jeder Baum ist gleich ein Blütenbaum/ und nicht jeder Traum ist gleich ein Liebestraum.“ Einsicht in die Beschränkung wird fröhlich ins Klavier gehämmert. Die Lyrik schlägt sich auf die Tagesseite; die Musik ist gnadenlos verkunstet. Und doch hat das Ganze mit dem vielzitierten Leben zu tun, wie jene Szene auf dem Weg zur Arbeit in „Der Tag beginnt“, in der ER nicht wagt, SIE in der Straßenbahn anzusprechen, während sie den Liebesroman liest, den er lieber mit ihr zu leben wünscht. Unsere Menschen... Alte Lieder. Es wird einem „schwarz vor den Augen/ ... lila und grün“. Vorwärts und den Clemens nicht vergessen, Manfred.
Letztes Outing. Manfred Krug spielt ein Instrument: Tamburin. Anke Westphal
Manfred Krug, „Das war nur ein Moment/ Ein Hauch von Frühling“, Amiga/BMG. Im Einzelhandel (rar) oder über „Cadillac“ Tel./Fax. 040/ 53 589 20.
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