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Zwischen den RillenMarokko ist stärker als du

■ Ruf der Wüste: „Souldier Nonstop“ von den Kastrierten Philosophen

„When a man rides by night through the desert he often hears voices and sometimes they may even call him by name. Calling upon him the voices may make him stray from his path so he can never find it again.“ In seinem Wüsten-Roman „The Process“ spricht der original Beatnik Brion Gysin diese Warnung aus. Den Kastrierten Philosophen schien sie so wichtig, daß sie ihr auf ihrem im letzten Sommer erschienenen Album „Souldier“ (das eine freie Adaption von „The Process“ darstellt) eine zentrale Stelle gaben.

Trotzdem haben Katrin Achinger und Matthias Arfmann Gysins Warnung nicht beherzigt. Mit ihrem neuen Remix-Album „Souldier Nonstop“ sind sie von dem Pfad, den „Souldier“ markierte, abgekommen und in unbekanntes Terrain vorgestoßen. Fast scheint es, als hätte Marokko sie eingeholt: Die Distanz, die sie zwischen sich und die alte Beatnik-Wüstenerfahrung gelegt hatten, ist weggeschmolzen, im zweiten Durchlauf hat Gysins Prozeß die Kastrierten Philosophen zu einer anderen Band gemacht.

Dabei sind Achinger und Arfmann so vorsichtig gewesen. Wohl wissend, daß sie sich beide als gute, moderne Beatniks qualifizieren – sie schreibt experimentelle Literatur, er arbeitet sich als HipHop-Produzent an schwarzer Musik ab –, haben sie peinlich genau darauf geachtet, bei ihrer Bearbeitung von Gysins Roman jeden Anflug von Marokko-Romantik zu vermeiden. Weder sind sie dem stilprägenden Bohemien zu den Meistermusikern von Jajouka gefolgt (wie Brian Jones und Bill Laswell), noch, wie William S. Burroughs, mit ihm durch die labyrinthische Dekadenz von Tanger gestrichen.

Statt dessen haben sie „The Process“ in eine innere Hamburger Wüste übersetzt — was dazu führte, daß „Souldier“ trotz fremder Texte ein linientreues Philosophen-Album wurde: dubbiger Baß, im Hintergrund verzerrte Gitarren und Achingers verführerischer Intellektuellen-Rap erzeugten eine schwere Achtziger- Wave-Stimmung, die nur von gelegentlichen Dance-Beats und Orient-Samples gebrochen wurde.

Doch dann kamen die Stimmen. Der Wanderer in der Wüste meint, daß sie vom nächsten Bergkamm rufen, wenn sie tatsächlich aus seinem eigenen Innern kommen. Achinger und Arfmann werden ihren Stimmen gesagt haben, daß sie mit „Souldier“ nicht über sich hinausgewachsen sind. Die Produktion eines Remix-Albums erschien da wohl ein interessanter und fortschrittlicher Weg zu sein, ihr Material ein zweites Mal kreativ zu verarbeiten.

Wer hätte schließlich ahnen können, daß die engagierten Bänderverfremder mehr oder weniger zufällig zu einem Werk kommen, das Gysin auf zweierlei Art genauer interpretiert, als „Souldier“ es tun konnte und wollte: Im dunklen Orient-Trance-Dance der meisten Remixe tritt die mystische Musikerfahrung zutage, die Beatniks, Hippies und andere Selbstfinder aus dem Zusammentreffen mit den jahrhundertealten Trommeln von Jajouka oder den Gesängen der Gnawa berichten. Und der Prozeß der Herstelllung eines Remix-Albums ist sicherlich eine besonders moderne Anwendung der Cut-up-Technik, die Gysin via Burroughs in die Literatur einführte. Die Remixer, die größtenteils aus dem Hamburger Buback/Yo!Mama-Umfeld und den Londoner Dub- Kreisen kommen, sind meist so vorgegangen, die Dance-Beats und Orient-Samples auszubauen und rhythmisch weiterzuentwickeln, den Rest der ursprünglichen Produktion jedoch unter den Tisch fallen zu lassen.

Heraus kommt eine bassige Musik, die bei schnellerer BPM- Zahl an Tribal House erinnert, manchmal verschwommener Dub-Reggae ist und manchmal von den transglobalen Tanzexperimenten des englischen Nation- Labels inspiriert scheint, die bei mir jedoch vor allem eine Assoziation wachruft: „Souldier Nonstop“ ist eine digitale Neunziger- Version des „Presents The Pipes Of Pan At Joujouka“-Albums des versprengten Rolling Stone Brian Jones.

Alles, was damals an Jones' verfremdeten Feldaufnahmen faszinierte, ist auch hier vorhanden: die polyrhythmische perkussive Basis, der verschnörkelte Gesang, die in den Himmel geblasenen Melodielinien, die heftigen Soundeffekte, die Versenkungstanz-Stimmung, die Ahnung von spiritueller Ekstase. Nur daß heute der Sampler das Uher-Tonbandgerät ersetzt. Der Sampler hat die Konzepte von Gysin und Jones alt gemacht: Cut-ups stellt man heute mit der Maschine her, und orientalische Versenkungsplatten können auf virtuellen Umwegen auch in Hamburg, London oder Essen produziert werden. Doch der Ruf der Wüste, der diesen Konzepten vorausgegangen ist, ist auch heute noch so mächtig, daß er eine Band von ihrem Weg abbringen kann. Johannes Waechter

Kastrierte Philosophen:

„Souldier Nonstop“

(Strange Ways/Indigo)

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