Zwischen den Rillen: Diskurs World Music
■ Muschelgeblasen: Don Pullen, Steve Turre
Vor drei Wochen starb Don Pullen im Alter von 50 Jahren. Kurz vor seinem erwarteten Krebstod veröffentlichte das Blue-Note-Label Pullens CD „Live ... Again“. Seit 1991 wußte der Pianist, Organist, Bandleader und Komponist um seine Krankheit, diese von ihm coproduzierte CD mit seiner ABC- Band, Pullen & The African Brazilian Connection, ist ein letztes Statement.
Pullen stand nie groß im Rampenlicht des Little-Big- Jazzbusineß, er war eher ein Musicians' Musician. Er brachte seine musikalischen Erfahrungen aus der Gospel- und R&B- Connection Virginias, der Lehrjahre im Chicagoer AACM- Umfeld und in der mittsiebziger Charles Mingus Band zunächst ein in ein Quartett, das er Anfang der achtziger Jahre mit dem Saxophonisten George Adams leitete, und das zu einer der bedeutendsten High-Energy-Bands jener sonst eher standardlosen Jazz-Zeit wurde. Sein Freund Adams starb Ende 92 im Alter von 52 Jahren. Ihm widmete Pullen auf „Live ... Again“, die 93 in Montreux live aufgenommen wurde, eine 18:45 lange Balladenimprovisationen mit dem Titel „Ah George, We Hardly Know Ya“.
Zum ABC-Ensemble gehören der senegalesische Perkussionist und Sänger Mor Thiam, der in Panama geborene Alt-Saxophonist und Flötist Carlos Ward, der brasilianische Bassist Nilson Matta und Schlagzeuger J.T. Lewis. Thiam komponierte die Dance Tune dieser CD, „Aseeko! (Get Up And Dance!)“, und den der Hoffnung auf sozialen Fortschritt gewidmeten Song „Kele Mou Bana (The struggle of our race is won!)“. Pullens Band ist jedoch alles andere als eine Ethno- Jazz-Dampfwalze, die auf trendy macht. Auch klingt sie längst nicht so hierarchisch strukturiert wie etwa die letzten Formationen des südafrikanischen Pianisten Abdullah Ibrahim. „Ich bin nicht darin interessiert, brasilianische oder afrikanische Musik in ihren reinen Formen zu spielen“, erläutert Pullen in den Liner Notes. „Ich möchte ihre Rhythmen, Melodien und Harmonien auf eine Art und Weise zusammenbringen, die uns allen gefällt... Und wenn ich mich eingeschränkt fühle, dann suche ich Wege auszubrechen.“ Diese CD ist ein rares Statement zum Diskurs World Music und afroamerikanische Jazztradition, das weder mit Etikettenschwindel noch Einheitsbrei daherkommt.
Seelenverwandtes gibt es auch vom Meeresmuschel-Bläserensemble des Posaunisten Steve Turre. Für seine bereits dritte und bislang interessanteste Muschel-CD „Rhythm Within“ hat Turre seine Sanctified Shells mit Gast-Solisten wie Herbie Hancock, Pharoah Sanders, Jon Faddis, Jimmy Delgado und den Ellington-Veteran Britt Woodman zusammengebracht. Rahsaan Roland Kirk brachte Turre einst darauf, das virtuose Spiel mit den Meeresmuscheln zu erlernen, wie es Turres mexikanische Vorfahren auch einst getan hatten. Die Meeresmuschel ist ein archaisches Instrument. Und doch ist Technik des Spielens der moderner Blechblasinstrumente ähnlich. Ihr Oberton-Sound klingt wie ein Mix aus Flötentönen und Stimmen.
Turre baute alle Muschelinstrumente, die auf dieser CD zu hören sind, selbst und lehrte die vier anderen Posaunisten seines Ensembles, darauf zu spielen. Turres Sanctified Shells-Sound wird durch Baß, Schlagzeug, African Drums, Congas und Trompete vervollständigt. Jeder Track dieser CD könnte Sie durch den Sommer begleiten, je nach Lebenslage und Laune versteht sich, denn alle haben sie Rhythm within. Der Opener „Funky-T“ ist von Turres Zusammenarbeit mit Hugh Masekela inspiriert, von der Musik Fela Kutis und den J.B. Horns. Hier improvisiert der Tenorsaxophonist Pharoah Sanders in Höchstform mit der nur ihm eigenen Post-Coltrane-Spiritualität, der hiermit auch sein derzeitiges Comeback in die Jazz- Welt vielversprechend einleitet. „Morning“ ist Turres einfühlsame Hommage an die Musik Yusef Lateefs, dessen Rückkehr auf die Jazzbühnen nicht in Sicht ist. Der Titelsong ist dem Pianisten Herbie Hancock gewidmet, der sich hier als einer der versiertesten lebenden Pianisten des modernen Jazz in Erinnerung spielt.
„You can dance if you want!“ kommentiert Turre seine Groover „Montuno Caracol“ und „African Shuffle“. Die Rede ist vom Spirit, den Pullens Musik mit seiner gemein hat. Nicht viele dürfen etwas so Einfaches so einfach dahersagen, er aber schon: „Come Together to the Rhythm of Life to make a better world.“ Christian Broecking
Don Pullen & The African Brazilian Connection: „Live ... Again“ (Blue Note 7243-8-30271-2-5)
Steve Turre: „Rhythm Within“ (Antilles/Motor 527 159-2)
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