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Zwischen den RillenInnere Werte, widersprechende Botschaften

■ Die HipHop-Innovatoren 1995 bilden Banden, lieben Hongkong-Krimis und rappen für Gott: Wu-Tang-Clan- Mitglied Raekwon solo und Bone Thugs-n-Harmony

Der Wu-Tang-Clan ist zurück – schon wieder, könnte man denken, denn dieses verrückte und Kung-Fu-Film-verliebte Hip- Hop-Sprachlabor aus Staten Island, New York, ist unglaublich produktiv. Dabei gab es bisher erst ein einziges originäres Wu- Tang-Clan-Album; aber mit Raekwon hat mittlerweile schon das dritte Wu-Tang-Mitglied (nach Method Man und Ol' Dirty Bastard) ein Solo-Album veröffentlicht – und im Herbst wird von Creation noch ein weiteres folgen.

Rakeem alias The RZA ist der Produzent all dieser Veröffentlichungen, und das Unglaubliche ist, daß es ihm gelingt, für jedes Album einen spürbar anderen Soundentwurf umzusetzen, so daß sich Referenzen auf andere Wu-Tang-Veröffentlichungen erst wieder als Referenzen abheben können. Wenn etwa auf zwei der Stücke auf Raekwons Album ein Wu-Tang-typisches Sample auftaucht – ein geigenartiges, bedrohliches Zirpen –, so wird man sich erst wieder bewußt, wie weit The RZA sein Reservoir an Beats und Sounds erneut ausgeweitet hat, ohne den kohärenten Ausdruck dabei verloren zu haben.

Für Raekwon hat er sich vor allem um die Ausmalung eines atmosphärischen Raumes mit abseitigen Streichersamples und dunkel abgedämpften Baßdrums gekümmert, und dabei weniger noch als bei Method Man die unmittelbare Wirkung einer frontalen Überwältigung durch den Beat eingesetzt. Die besten Stücke sind nah an der Grenze zum Schleppenden, asynchron Stolpernden, auf jeden Fall doch auffallend weit weg von jeder Tanzflächenkompatibilität.

Aber all das allein würde dem eher unspektakulär, dabei sehr effektiv und nach vorne rappenden Raekwon neben dem „böse“, feist klingenden Method Man und dem beinahe psychopathisch komischen Ol' Dirty Bastard nur schwer ein ausnehmbares musikalisches Profil verleihen. Es ist eher eine dunkel angedeutete Fort- und Umschreibung des Gangstermythos, die Raekwon ausfüllt, schon das Intro steckt da etwas ab – es ist die rauh aufgenommene Unterhaltung zweier Drogendealer, die sich darin bestätigen, daß sie die Schnauze voll haben von ihrem Job und sich endlich um ihre Familien kümmern können wollen. Wobei sie nicht bescheiden verzichten wollen, sondern größere und bessere Jobs anstreben. All das unterlegt von der Filmmusik des Hongkong-Gangsterfilm- Klassikers „The Killer“ von John Woo (daß John Woo sich mit seinem Namen anbietet für die Wu- Tangs, liegt auf der Hand).

Als Gastrapper sind alle Wu- Tangs außer Ol' Dirty vertreten, der Clan simuliert sich als prächtige Cosa Nostra und läßt dabei immer klar durchblicken, daß es sich um einen filmisch inspirierten Bezug handelt (Masta Killa zum Beispiel nennt sich Noodles nach einem der Protagonisten aus Scorseses „Good Fellas“).

Der Gangsterfilm ist als narrative Strecke verwandt mit Rap – er stellt in seinen besten Momenten gerade als Genrefilm keine eindeutige Ebene der ästhetischen oder politischen Setzung her, sondern oszilliert zwischen Uneinssein und Versöhnung mit dem Gezeigten. Der Anfang von „Can it all be so simple“ illustriert das: Straßengeräusche, Geldzählen, konkurrierender Dealer, stotterndes Reden; nach einer Minute steigender Anspannung Schüsse, es bleibt unklar, wer heil davon gekommen ist. Das ist keine ungebrochene Verherrlichung, ebenso wenig eine Anklage.

Es ist aber auch keine einfache Bestandsaufnahme, sondern eben unentschieden zwischen Faszination und Abscheu, Involviertheit und Wunsch nach Distanz – und darin dem Gefühl am nächsten, das in Diskriminierten beim Blick auf die Privilegien der Nicht-Diskriminierten aufsteigt.

Der Wu-Tang-Clan ist nicht der einzige HipHop-Clan, der sich als Netz ausbreitet und auf verschiedenen Labels mit verschiedenen Artisten eine Fülle ästhetischer Entwürfe lanciert, um sich neben dem künstlerischen und ökonomischen Erfolg auch Definitionsmacht gegenüber der Plattenindustrie zu verschaffen. Dr. Dre und seine Death Row-Posse (mit Snoop Doggy Dogg und Warren G. und anderen) haben das exemplarisch vorgemacht, und Eazy-E – ehemals Mitstreiter von Dre bei den HipHop-Veteranen NWA und später verfeindet mit ihm – stand wohl davor, etwas Ähnliches aufzubauen. Sein Aids-Tod im Frühjahr erinnerte die zum Teil sehr homophobe US-HipHop-Gemeinde daran, daß Aids alles andere als ein Exklusivproblem Schwuler ist.

Als Vermächtnis bleibt das Album von Bone-Thugs-N-Harmony, das Eazy-E – als Rapper oft belächelt – in ungeahnter Perfektion als einen neuen Stern am Produzentenhimmel zeigt. Selbst wer nicht auf den geschmeidigen G.-Funk-Sound à la Warren G. steht, hätte das zugeben müssen. Aber Bone-Thugs-N-Harmony sind nicht einfach nur Adaption oder gar Plagiat des so erfolgreichen, R&B und Westcoast- HipHop verschmelzenden G- Funk.

Die extrem zurückgelehnten, manchmal in dunkle Opiumhöhlenbilder im Stile Cypress Hills abtauchenden Beats und Sounds stehen in einer fortwährenden Spannung mit einer schnellen und mäandernden, ganz und gar eigen- und neuartigen Verschmelzung von Harmoniegesang und kunstfertigem Zungenbrecher-Rapping. Bei Snoop Doggy Doggs melodiösem Rap- Stil deutete es sich schon an oder im Singsang des neuen HipHop- R&B-Star Montell Jordan. Aber erst bei Bone-Thugs-n-Harmony verschmilzt der Gesang mit den Wortkaskaden zu einer polyrhythmischen, beschleunigenden und wieder retardierenden oralen Achterbahnfahrt.

Weiter ausdifferenziert wird dieser neue Crossover von einer vielschichtigen und widersprüchlichen signifikatorischen Aufladung: Afrofrisuren, ein spiegelverkehrter Text über Tod und Teufel im Booklet, Dank an Gott im Himmel in der Thanksliste, auf dem Cover ein gemaltes brennendes South Central L.A., Totenschädel am Boden unter dem Straßennamen „Eternal“.

Eines bleibt bei all dem – wie auch bei Raekwon – zumindest noch klar: Es gibt keine eindeutigen an der Message orientierten Rezeptionsweisen, die von Kritikern als Wunsch nach interventionistischer Popmusik formuliert werden. Die Gefühlslagen und Denkweisen, um die es geht, wenn im HipHop das Leben in den Wohnsilos und auf den Straßen schwarzer Neighbourhoods Bild wird, sind hochgradig widersprüchlich.

Die eindeutige Stellungnahme – zum Beispiel gegen eine Glorifizierung von Gangsterism – wäre erst der Schritt, der an diesen Widersprüchen ansetzt; und dafür müssen diese Widersprüche „von innen“, aus dem Zusammenhang heraus formuliert worden sein. Jörg Heiser

Raekwon: „Only Built 4 Cuban Linx“ (Loud/RCA/BMG).

Bone Thugs-n-Harmony: „E. 1999 Eternal“ (Ruthless/Sony).

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