: „Zwei Welten“ prallten aufeinander / Willkommene Nachbarschaft –betr.: „Kulissen leben am Rande der Stadt“ (Das „Hellersdorf Projekt“ in der NGBK), taz vom 2. 2. 99
In der begleitenden Podiumsdiskussion zur Fotoausstellung war nichts davon zu vernehmen, daß die letzte DDR-Plattenbausiedlung mittlerweile zum Touristenhit avanciert sei, wie es der taz-Artikel zu berichten wußte. Vielmehr prallten unvermindert „zwei Welten“ aufeinander: Die der Innensicht (der dort Lebenden) und die der Außensicht (der kritischen Beobachter von außen). Daß die vielbesuchte Fotoausstellung ausschließlich das Ergebnis einer Außenansicht sei und ohnehin nur das bekannte Klischee bedient würde, ist zwar bei Vertretern des ortsansässigen Heimatvereins wohl nicht weiter verwunderlich und für sich selbst sprechend. Daß aber der weiter ansteigende Wohnungsleerstand (derzeit 6,5 Prozent nach Aussage der Wohnungsbaugesellschaft), die geballte Unterbringung von Rußlanddeutschen und die damit erschwerte Integration, die vielen fragwürdigen und teuren „Verschönerungsmaßnahmen“ und die allerorts gleichgestalteten Einkaufspassagen auch von den anderen Diskussionsteilnehmern keine ernsthafte Hinterfragung erhielten, ist im Jahre 1999 schon sehr merkwürdig.
Es fehlt noch immer der Mut, die Tatsachen beim Namen zu nennen. Dabei sehen viele Ausstellungsbesucher, die eigens von der Berliner Peripherie ins Stadtzentrum gepilgert sind, um die graue Monotonie, aber auch den schrillbunten Alltag in edlen Bilderrahmen gefaßt zu sehen, durchaus ihren Lebensort identisch und unverfremdet dargestellt. Die Portraits von Familien und Freunden bezeugen zudem ein seltenes Zusammengehörigkeitsgefühl – keine Distanz, sondern menschliche Nähe untereinander in einer Reißbrettstadt, in der das überwiegende Leben in den Innenräumen stattfinden muß. So bleibt zu hoffen, daß noch viele solcher Experimente folgen werden, die den Blick schärfen, zur Diskussion anregen, Innenstadtkiez und Plattenbausiedlung zusammenführen, kritische Bestandsaufnahme zeigen und zu künftigen Visionen einer humanen Stadtwelt verhelfen können. Helmut Bergsträßer
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen