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ZwangsheiratenWenn Ehen zum Gefängnis werden

Kommentar von Cosima Schmitt

Laut einer Studie finden Zwangsheiraten nicht unbedingt in frommen, sondern eher in zerrütteten Familien statt. Bessere Bildung der Mädchen kann das verhindern.

Auch eine Einbürgerungsurkunde bietet nicht unbedingt Schutz vor Zwangsverheiratung Bild: dpa

D as Buch soll Fakten liefern in einer erhitzten Debatte. Es soll mit Wissen aufwarten, wo gerne gemutmaßt wird. Am gestrigen Montag stellte ein Autorenteam den Wälzer "Zwangsverheiratung in Deutschland" vor. Gefördert vom Bundesfamilienministerium liefert das Deutsche Institut für Menschenrechte eine erste umfassende Faktensammlung zur Frage, wer von einer Ehe wider Willen bedroht ist. "Es sind nicht einfach die frommen Familien, in denen es zur Zwangsheirat kommt", sagt Institutsleiter Heiner Bielefeldt. "Es sind eher die kaputten Familien."

Spätestens seit der Ermordung Hatun Sürücüs wird das Thema "Zwangsheirat" öffentlich diskutiert. Doch es fehlen verlässliche Daten, wie viele Mädchen von einer solchen Ehe bedroht sind. Zudem ist ist noch kaum untersucht, in welchen Lebenslagen Mädchen besonders gefährdet sind.

Genau an dem letzten Punkt setzt das Buch an. Es wertet die Daten von 331 jungen Frauen aus, die von der Berliner Kriseneinrichtung "Papatya" betreut wurden. Ergänzt wird dies um Einschätzungen von ExpertInnen.

Laut der Studie stammen die meisten der jungen Frauen aus schwierigen Verhältnissen. Jede Dritte hat einen Vater, der arbeitslos ist. In jeder vierten Familie gibt es Suchtprobleme. Ein Drittel der Eltern lebt getrennt. Fast alle Mädchen leben in Familien, in denen Gewalt zum Alltag gehört. Und so gut wie alle leben in Familien mit stark patriarchalen Strukturen. Religion spiele als Motiv nur eine untergeordnete Rolle, so Rainer Strobl, Mitautor der Studie. Auch die automatische Gleichsetzung des Islam mit einem patriarchalen Familienverständnis sei falsch und durch die Daten nicht belegt.

So verstehen die Autoren ihr Buch nicht nur als Anlass, die Debatte um Zwangsheirat zu versachlichen. Sie leiten aus den Daten auch konkrete Handlungstipps ab. So fordert die Studie, Migrantinnen selbst zu stärken. Die Mädchen sollen bessere Bildungs- und Berufschancen haben. Dann, so die Hoffnung, können sie sich eher gegen die Pläne der Eltern zur Wehr setzen. Frauen sollen wissen, dass sie ein Recht auf freie Partnerwahl haben - und dass sie deshalb keine Querulanten sind, die ihre Familie entzweien.

Was wolkig klingt, versucht das Ministerium jetzt hier und da in konkrete Projekte umzusetzen. So fördert es einen Online-Dienst, bei dem sich Betroffene anonym beraten lassen können. Denn noch stehen Frauen, die von Zwangsheirat bedroht sind, mit ihrem Problem recht alleine da. Nur wenige Städte bieten überhaupt eine Anlaufstelle an. Maria Böhmer (CDU), Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, plant auch, Lehrer zu schulen, damit sie gefährdete Mädchen rechtzeitig erkennen. Im Oktober will das Familienministerium zudem einen Aktionsplan zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen vorstellen. "Wir müssen junge Frauen wirksamer schützen", sagt Böhmer.

So viel Tatendrang im Kleinen ist schon deshalb nötig, weil die Chancen, gesetzlich etwas im Sinne der Frauen zu ändern, derzeit gering sind. Die Novelle des Zuwanderungsgesetzes wurde gerade verabschiedet. Umso unwahrscheinlicher ist, dass bald Einlass ins Gesetzbuch findet, was Bielefeldt schon lange fordern: ein verbessertes Rückkehrrecht für Frauen, die hier aufgewachsen sind, aber für eine Zwangsehe in ihre Herkunftsländer gebracht wurden. Derzeit müssen sie es spätestens nach sechs Monaten zurück nach Deutschland geschafft haben, sonst verlieren sie ihr Aufenthaltsrecht.

Einen Teilaspekt des Themas "Zwangsheirat" kann indes auch das neue Buch nicht erhellen: die Frage, wie oft Männer wider Willen eine Ehe eingehen. Laut Bielefeldt ist die Lage offenbar weniger dramatisch als bei den Frauen. Zum einen seien Männer meist älter als 16 oder 17, wenn ihre Eltern eine Ehe vorschlagen. Sie könnten sich schon deshalb eher wehren. Zum anderen seien die Auswirkungen einer Zwangsehe für sie nicht ganz so drastisch. "Männer haben eher die Möglichkeiten, sich außerhalb der Familie auszuleben." Eine Zwangsheirat werde oft als Mittel eingesetzt, um einen Sohn zu disziplinieren - oder um einen Homosexuellen in ein Leben als Hetero zu zwingen. Wie oft das vorkommt, wissen die Experten nicht. "Beim Thema Zwangsheirat stehen wir erst am Anfang eines langen Wegs", sagt Bielefeldt.

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