Zuwenig Geld für arbeitslose Mütter: Arbeitsagentur bestraft Elternzeit
Mütter, die nach der Babypause den Job verlieren, erleben ein böse Überraschung: Sie erhalten weniger Arbeitslosengeld, als ihnen zustünde.
Die Frau hat einen Lebenslauf, wie Familienpolitiker ihn empfehlen: Sie hat Betriebswirtschaft studiert, rasch Karriere gemacht, dann zwei Kinder geboren. Gerne wollte sie nach der Babypause zurück auf ihren Posten. Dann aber kam alles anders. Die Frau verlor nicht nur ihren Job. Die Ex-Spitzenverdienerin muss sich auch mit einem bescheidenen Arbeitslosengeld begnügen.
Vor wenigen Tagen bestätigte das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eine umstrittene Praxis: Mütter müssen damit rechnen, deutlich weniger Arbeitslosengeld zu erhalten, wenn sie nach der Elternzeit in den Beruf zurückkehren - und ihnen, wie im aktuellen Fall, nach wenigen Wochen gekündigt wird. "Mich ärgert diese Regelung sehr", sagte Petra Santro, die Anwältin der Mutter, der taz.
Ursache der Erregung ist die Berechnungsweise der Behörden. Wie viel eine Mutter vor der Babypause verdient hat, ist demnach irrelevant. Ihr Arbeitslosengeld berechnet sich nach einer Pauschale, die lediglich nach dem Bildungsgrad gestaffelt ist. Es ist also unerheblich, ob eine Frau nach der Uni als Topmanagerin gearbeitet hat oder als Sozialpädagogin in einem Drogenprojekt. Oder ob sie sich nach der Lehre zur Filialleiterin hochgearbeitet hatte oder nach wie vor am Bankschalter saß.
Im konkreten Fall hatte die Betriebswirtin zuletzt 3.750 Euro verdient. Die Arbeitsagentur legte bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes aber eine Pauschale von rund 2.400 Euro zugrunde.
Sie berief sich dabei auf die Hartz-III-Gesetze. Demnach muss ein Erwerbsloser innerhalb der letzten zwei Jahre mindestens fünf Monate erwerbstätig gewesen sein, sonst gibts nur die Pauschale. Umstritten ist nicht die Regelung an sich - sondern, dass sie auf Frauen in Elternzeit angewandt wird.
Die erste Instanz, das Sozialgericht Berlin, hatte sich im Mai 2006 noch auf die Seite der Kritiker gestellt. Die Richter sahen die Praxis der Behörden als unvereinbar mit dem grundgesetzlichen Schutz für Ehe und Familie an. Das Urteil galt als richtungsweisend - bis es die höhere Instanz jetzt aufhob.
Eine Klärung der Lage ist schon deshalb relevant, weil es sich um keinen Einzelfall handelt. Iris Sümenicht etwa, Rechtsanwältin in Bielefeld, vertritt mehr als 30 Frauen, die gegen diese Berechnungen klagen. "Und das ist nur die Spitze des Eisbergs", sagte sie der taz. Die Frauen fühlten sich nachträglich für die Kinderpause bestraft, so die Anwältin.
Die Arbeitsagentur selbst sieht das weniger dramatisch. Betroffen sei vor allem eine eher kleine Gruppe - Akademikerinnen, die in gut bezahlten Jobs arbeiten. Bei vielen anderen Frauen "liegen die Pauschalbeträge durchaus nahe an dem, was sie auch nach dem letzten Gehalt erhalten würden", sagt eine Sprecherin.
Ein Eindruck, den Sümenicht so nicht bestätigen kann. "Das trifft nicht nur Hochqualifizierte. Ich vertrete alle möglichen Frauen - von der Verkäuferin bis zur Akademikerin."
In der Theorie sollten solche Fälle ohnehin sehr selten sein. Eine Frau sollte nach der Elternzeit problemlos in den Job zurückkehren können - und ihn dann auch behalten.
Die Praxis aber sieht anders aus. "Es kann passieren, dass eine Frau aus der Elternzeit zurückkehrt und gleich am ersten Tag eine Kündigung vorfindet", sagt Santro.
Aufgeben wollen die Frauen nicht. Santro will Berufung vor dem Bundessozialgericht einlegen - und notfalls in höhere Instanzen weiterziehen. Ihrer Ansicht nach ist die jetzige Praxis nicht mit der Verfassung vereinbar. "Und ich denke, dass die Richter in Karlsruhe das genauso sehen werden - oder spätestens der Europäische Gerichtshof."
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