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■ Zur Sommerlochdebatte um ein EinwanderungsgesetzGrüße aus den Ferien

Manchmal läßt sich schon aus der Konstellation von Person, Ort und Zeit auf die Ernsthaftigkeit politischer Vorschläge schließen. Wenn beispielsweise Außenminister Klaus Kinkel mitten im Sommerloch von seiner finnischen Ferieninsel aus ein Einwanderungsgesetz für die Bundesrepublik fordert, darf man den politischen Willen des FDP-Vorsitzenden wie die Durchsetzungschancen des Vorschlages getrost gering veranschlagen. Eher scheint es, als wäre Kinkel, seit kurzem hauptverantwortlich für die Zukunft seiner kleinen, wirtschaftsliberal ausgebrannten Partei, an ein paar sozialliberalen Einsprengseln durchaus interessiert. Das Interesse ist verständlich. Seit die Großen zusammenrücken, seit Rudolf Scharping die SPD mit Macht auf Mitte trimmt und der designierte Bundesgeschäftsführer mit dem Thema Große Koalition gleich den passenden Einstieg findet, wird's für die Liberalen eher eng. Doch mit Politik haben die zukunftsängstlichen Avancen an die SPD wenig zu tun. Sie sollen lediglich im Konjunktiv signalisieren, was die Liberalen vielleicht auch gerne können würden. Im Indikativ jedoch gilt nach wie vor die Koalitionsräson.

Verbraucht werden so vor allem die politisch sinnvollen Ansätze, die für das übertaktische Hin und Her als Stoff dienen müssen. Schon Kinkels Vermittlungsvorschlag im Streit um künftige UN-Einsätze der Bundeswehr machte ja durchaus Sinn. Doch die Art, wie der Chefdiplomat die Sache einfädelte – die eigene Partei verschreckt, die Sozialdemokraten kalt erwischt, ein ganz anderslautender Koalitionsentwurf auf dem Tisch –, brachte den Vorschlag schon auf Null, noch bevor er richtig in die Debatte kam. Schließt man von solchem Einsatz auf die Chancen des von Kinkel angeregten Einwanderungsgesetzes, muß die Republik darauf noch lange warten. Die maßgebliche Tonlage gibt ohnehin nicht Kinkel, sondern der neue Innenminister vor, dem selbst die FAZ einen Hang zum Demagogischen attestiert: Bloß „nicht ängstigen“ dürfe man jetzt die bundesdeutsche Bevölkerung, die trotz Asylkompromiß ja noch immer mit „Zehntausenden“ Neuankömmlingen konfrontiert sei.

Also weiter: keine gewollte und geregelte Einwanderung, keine doppelte Staatsbürgerschaft... Das klang ja vor kurzem und bis weit ins konservative Lager noch anders. Unter dem Schock von Solingen, als alle aufgeregt nach politischen Signalen gegen den grassierenden Rassismus suchten, schien beides nicht nur notwendig, sondern einen Moment lang auch durchsetzbar. Doch davon bleibt wenig. Was aus der Not des ersten Schreckens immerhin noch denkbar schien, verkommt jetzt zum Thema fürs Sommerloch. Die Akteure, wie gehabt: ein vor sich hinspielender FDP-Vorsitzender, ein auf Innere Sicherheit als Wahlkampfhit abonnierter Kanzlerkandidat, ein selbstsicher-bornierter Innenminister; der eine unernst, der zweite mit bieder-rechter Koketterie, der dritte konservativ-ignorant, profitieren sie derzeit vor allem davon, daß auch die Brandstifter Sommerpause machen. So läßt sich über notwendige Konsequenzen aus dem Gewesenen schon wieder politisieren, als sei gar nichts geschehen, als sei nichts mehr zu erwarten – bis auf weiteres. Matthias Geis

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