■ Zur Mitgliederbefragung der SPD: Viel Mut zum Risiko
So kurz war noch kein Wahlkampf. Aber auch diesmal kommt das Spannendste zum Schluß. Die Fernseh-Debatte der drei KandidatInnen für den Parteivorsitz der SPD findet erst am Sonntag statt. Wo kein öffentliches Kräftemessen ist, da messen auch die Umfrage-Profis im Vagen. Der Rest ist Wunsch-
traum und Kaffeesatz, nur aus den Partei-Höhen
steigen Deutungen und Gerüchte auf. Hat Heidi
doch eine größere Chance als gemunkelt? Hat
Schröder – allem Anschein zum Trotz – deswegen so hoch gepokert, weil er 94 partout noch nicht antreten will? Wer ist eigentlich dieser Scharping und wann hebt er ab? Vieldeutig lächeln die Neuen zu ihren neuen Bedeutsamkeiten. Nichts genaues weiß niemand.
Mut hat sie schon, die SPD mit ihrer Mitgliederbefragung. Keine Partei – die Grünen eingeschlossen – hat es bisher gewagt, sich in so einer wichtigen Frage mit so offenem Ergebnis dem Votum der eigenen Mitgliedschaft auszuliefern. Daß von der Wahl der/des Vorsitzenden nach dem Schock des Engholm-Rücktritts nicht nur die Zukunftschancen in Wahlkämpfen, sondern auch die Gefahr langer innerparteilicher Zerwürfnisse abhängen könnte, macht die Entscheidung nicht einfacher. Auch nicht, daß es sich um ein echtes Machtvakuum handelt, das es zu füllen gilt. So offen können demokratische Prozesse sein. Wissen die SPD-Mitglieder, wieviel Macht sie mit dieser Wahlmöglichkeit haben? Sind überhaupt die persönlichen und politischen Kriterien diskutiert, die bei der Wahl nicht vergessen werden dürfen?
Als Fehler könnte sich doch herausstellen, daß die geplanten Regionalkonferenzen, die innerparteilichen Primaries, nicht stattfanden. Wie man hört, waren Schröder und Scharping dagegen. Warum wohl? Gerade da, im offenen Forum untereinander und mit der eigenen Basis, hätte sich herausstellen können, wieviel dialogische Qualitäten, wieviel natürliche Autorität die VorstandskandidatInnen wirklich haben und was an konzeptionellem Vermögen in ihnen steckt. Aus gutem Grund verzichten die Amerikaner nie auf diesen Test der offenen Arena, der anderes zutage bringt als eine vorbereitete Kandidatenrede vor heimischem Publikum.
Nachdenklich stimmt auch der zwar unterschiedlich vorgetragene, aber dennoch offen vergleichbare Gestus der beiden männlichen Kandidaten: „Ich will alles – und sofort.“ Dabei könnte es sein, daß Schröder zwar so redet, in Wahrheit jetzt aber noch gar nicht alles will, während es bei Scharping genau umgekehrt ist. Beides zeugt von einer merkwürdigen Leichtigkeit im Umgang mit dem Ernst der Lage der SPD. Keine/r der KandidatInnen hat wirklich Erfahrungen damit, im Bonner Kessel der Machtzentralen zu bestehen. Zwischen einem größeren Landratsamt und der politischen Neukonzeption einer deutschen Republik um die Jahrtausendwende bestehen gewisse Unterschiede in der Anforderung. Demgegenüber alles auf die Entschlossenheit der eigenen Person zum Selbstexperiment zu setzen, mutet der Partei eine gehörige Portion Urvertrauen zu. Warum sollte sie das wohl haben, wenn sie nicht einmal Helmut Schmidt beide Ämter zugleich überließ – und selbst Willy Brandt nur für kurze Zeit?
Viel hängt von der Entscheidung am Sonntag ab, mehr als das Schicksal einer Volkspartei. Der ganzen Republik ist es nachhaltig schlecht bekommen, daß es keine starke Opposition mit einer berechenbaren Führung im unruhig gewordenen Deutschland gibt, die der Debatte über die großen politischen Entscheidungen Struktur und Stimme gibt. Was jetzt in der SPD gewählt und entschieden wird, muß halten, wenigstens für eine mittlere Zeitspanne. Alles spricht für Risikobegrenzung. Antje Vollmer
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