■ Zur Koalitionskrise im rot-grünen Niedersachsen: Schröder ohne Bodenhaftung
In Bonn fühlt er sich seit einiger Zeit schon mehr zu Hause als in der niedersächsischen Staatskanzlei. Mit aller Macht drängte es ihn schon immer in die nächst höhere Sphäre, heute ist es die bundespolitische. Auf das Resultat seiner Übungen kommt es nicht an: siehe Asylkompromiß. Hauptsache, der Name „Schröder“ ist oft genug in der Zeitung. Nichts wünscht er mehr, als endlich einen Platz in der Spiegel-Hitliste der bundesdeutschen Politiker: Wichtigere Rolle für Gerhard Schröder gewünscht? Antwort: Nein. Aus purer Eitelkeit hat der niedersächsische Ministerpräsident gestern in seinem Land eine erste wirkliche Krise der rot-grünen Koalition produziert, die tatsächlich zum Ende des dienstältesten rot-grünen Bündnisses hätte führen können. Schröder evozierte sie an einer Frage, in der die Landesregierung nichts zu entscheiden hat. Über U-Boot- und andere Rüstungsexporte nach Taiwan hat der Bundesicherheitsrat zu befinden. Der Bundesaußenminister ist immer noch dagegen. Daß Schröder diese Exporte gegenüber Helmut Kohl befürwortet hat, hält nur er selbst für bedeutsam.
Die niedersächsischen Grünen waren dennoch gezwungen, die Koalitionsfrage zu stellen. Just gestern wurde im Verfassungsausschuß des Bundesrates der offizielle Antrag Niedersachsens beraten, per Grundgesetz Rüstungsexporte in Nicht-Nato-Länder zu untersagen. Schröder hat nicht nur gegen den einstimmigen Beschluß des Landeskabinetts verstoßen, der diesem Antrag zugrunde liegt. Er hat sich sogar am Podium des Landtages das Recht vorbehalten, sich auch künftig wieder über Kabinettsbeschlüsse hinwegzusetzen und dies – wohl wahrheitsgemäß – mit seiner persönlichen Art, Politik zu machen, begründet. Einem solch absolutistischen Regime konnten und durften sich die Grünen nicht unterwerfen. Die Kabinettsdiziplin muß auch für den Ministerpräsidenten gelten – oder die Grünen müssen diese Koalition verlassen.
Seine Partei brauche einen „neuen Helmut Schmidt“, hat Gerhard Schröder kürzlich verkündet und damit natürlich sich selbst gemeint. Der Führungsstil, den er dabei im Auge hat, ist in Wirklichkeit ein längst ausgelaufenes Modell. Selbst die Wirtschaftskapitäne, deren Nähe der schon immer von links unten nach rechts oben strebende Ministerpräsident so sehr sucht, sind da schon weiter. Wenn Gerhard Schröder so weitermacht, könnten seine Höhenflüge schnell in einer Bruchlandung enden, auch was die Karriere des Immer-Strebsamen angeht. Ein Ex- Ministerpräsident jedenfalls, der in der SPD so viele Gegner hat wie Gerhard Schröder, taugt auch in einer großen Bonner Koalition nur noch zum Staatssekretär im Wohnungsbauministerium. Jürgen Voges
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