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■ Zum bevorstehenden Weltsozialgipfel in KopenhagenVon gleich zu gleich

„Wir glauben, daß unsere Welt nicht überleben kann, wenn es ein Viertel Reiche und drei Viertel Arme gibt, wenn sie halb demokratisch und halb autoritär ist, wenn Oasen menschlicher Entwicklung von Wüsten menschlicher Entbehrungen umgeben sind.“ So steht es im letzten UN- Entwicklungsbericht. Überlebensfragen dieser Art werden nun erstmals zentrales Thema eines UN- Gipfels sein.

Doch das Thema reißt hierzulande niemanden vom Hocker: Die Armut in der Welt! Wieder so eine Pflichtveranstaltung des schlechten Gewissens! Hierzulande fahren Autofahrer mit dem Aufkleber herum: „Eure Armut kotzt mich an“; Citybewohner finden es unerträglich, auf dem Weg ins Restaurant an bettelnden Roma-Kindern vorbeilaufen zu müssen. Was ist beängstigender: der Kontakt mit Armut mitten in den „Oasen menschlicher Entwicklung“ oder die Ahnung, daß das nicht so bleiben kann, weil es ungerecht ist? Die wachsende soziale Kluft oder die Idee einer global verstandenen Gerechtigkeit?

Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht: Diese Idee hat in den vergangenen Jahrzehnten eine ungeahnte Wucht entfaltet. Die Anschauung, daß alle Menschen im Prinzip gleichwertig und deshalb auch gleichberechtigt seien, wurde erstmals von den stoischen Philosophen im antiken Griechenland vertreten. Heute wird in internationalen Organisationen eine „Universalität der Lebensansprüche“ konstatiert. Die Idee einer universellen Gerechtigkeit ist aus der Welt der Philosophen und Idealisten, der Weltverbesserer und fortschrittlich gesinnten akademischen Kreise zu den „einfachen Leuten“, zu den „Armen“ durchgesickert.

Diese „Armen“ von heute sind informiert. Sie kennen ihre Situation, und sie wissen, wie in anderen Teilen der Welt gelebt wird. Der Aktionsradius ihrer Lebensplanung beschränkt sich nicht mehr unbedingt auf das Dorf, die Region, das eigene Land. Wert und Erfolg des eigenen Lebens werden nicht mehr nur an den Maßstäben einer lokalen Tradition gemessen. Die „Armen“ haben begonnen, sich als Weltbürger zu definieren. Wenn junge Leute aus Ghana und Nigeria nach Deutschland kommen, dann ist es nicht der Hunger, der sie antreibt, sondern ihre Idee von Chancengleichheit, ihre Vorstellung, daß sie nicht nur Bürger von Ghana oder Nigeria, sondern ebensogut Bürger dieser Welt sind.

Es war vor allem die Globalisierung der Märkte in den vergangenen Jahrzehnten, die den Gerechtigkeitsgedanken nährte und verbreitete. Sie brachte das Radio in das letzte afrikanische Dorf, sie integrierte noch die entlegensten Regionen in den Austausch von Waren, Information und Kultur aus allen Teilen der Welt.

Doch die selbe ökonomische Entwicklung, die dem Gedanken universeller Gerechtigkeit so viel Schwung verlieh, hat die tatsächliche soziale Ungleichheit beispiellos vertieft. Das obere Fünftel der Weltbevölkerung verdiente 1960 etwa 30mal soviel wie die ärmsten 20 Prozent. Inzwischen hat sich dieser Abstand auf das 60fache verdoppelt. Die ärmsten 20 Prozent der Weltbevölkerung erzielten 1960 2,3 Prozent des globalen Einkommens. Heute sind es nur noch 1,3 Prozent.

Schon vor längerer Zeit wurden die Grundlagen einer gerechteren internationalen Sozialordnung gelegt. Im Jahre 1966 beschlossen die Vereinten Nationen den „Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte“. Zusammen mit dem Pakt über bürgerliche und politische Rechte war dieser „Sozialpakt“ als Konkretisierung der Ziele der Allgemeinen Menschenrechtsdeklaration gedacht. Er definiert die sozialen und wirtschaftlichen Menschenrechte: Recht auf ausreichende Ernährung, auf Wohnung, Gesundheitsversorgung, Bildung und ein Recht auf Arbeit beziehungsweise Land.

1976 trat der UN-Sozialpakt in Kraft, doch seitdem dämmert er vor sich hin. Im UN-Entwicklungsbericht 1994 wurde nun der Vorschlag präsentiert, die sozialen Menschenrechte durch ihre Transformation in internationale Sozialverträge aus ihrem Dornröschenschlaf zu erlösen. Als Grundlage dient die Idee einer „neuen, globalen Zivilgesellschaft“, „in der das Recht auf Ernährung ebenso geheiligt ist wie das Wahlrecht, in der das Recht auf elementare Bildung ebenso stark verankert ist wie das Recht auf eine freie Presse und wo das Recht auf Entwicklung zu den grundlegenden Menschenrechten gehört“.

In dieser globalen Zivilgesellschaft soll die Befriedigung elementarer Grundbedürfnisse wie Grundschulbildung, elementare Gesundheitsversorgung, ausreichende Ernährung, Zugang zu Familienplanungsdiensten, zu sauberem Trinkwasser, Sanitäreinrichtungen und zu Krediten durch internationale Sozialverträge gesichert werden.

Als erster Schritt in diese Richtung wird ein „20:20-Vertrag“ vorgeschlagen: Wenn die Entwicklungsländer 20 Prozent ihrer Staatsbudgets für sozialpolitische Ziele einsetzten (jetzt sind es nur 13 Prozent) und wenn die Geberländer 20 Prozent ihrer Entwicklungshilfe (jetzt: sieben Prozent) diesem Bereich widmeten, dann könnten, nach Berechnungen der UN-Entwicklungsagentur UNDP, die prioritären sozialpolitischen Ziele bis zum Ende dieses Jahrhunderts in allen Staaten erreicht werden.

Doch bereits dieser erste Schritt, die scheinbar simple Umschichtung von Haushaltsmitteln, ist mit ernsthaften Widerständen konfrontiert. Die Tatsache etwa, daß die Länder des Südens heute nur 13 Prozent ihrer Staatsausgaben in den sozialen Bereich investieren, ist auch eine Folge ihrer Anpassung an die Weltmärkte, zu der sie seit Beginn der Schuldenkrise gezwungen sind. Sie ist vor allem eine Konsequenz jener „Strukturanpassungsprogramme“, in denen die Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit zur obersten Richtschnur der Wirtschafts- und Sozialpolitik erhoben wurde.

Eine sozialreformerische Wende der internationalen Politik müßte diese weltwirtschaftlichen Bedingungen mit einbeziehen. Sie müßte insbesondere die Weltfinanzmärkte im Sinne einer ausgewogenen Entwicklung und größtmöglicher sozialer Gerechtigkeit bändigen.

Vorschläge dafür gibt es zuhauf, von der Einrichtung einer internationalen Zentralbank bis zur Besteuerung internationaler Devisengeschäfte. Zur Zeit kursiert die Idee, einen ökonomischen Sicherheitsrat der UN einzurichten, der vor allem in den Bereichen der Weltfinanzmärkte und der Umweltzerstörung durch globale wirtschaftliche Prozesse regulierend eingreifen soll. Eine solche Regulierung globaler Wirtschaftsprozesse im Rahmen der UN wäre aber nichts anderes als ein Schritt zur Demokratisierung der weltwirtschaftlichen Beziehungen – ein Projekt, von dem jedoch die maßgeblichen Akteure der Weltpolitik bis heute nichts wissen wollen.

Ihr Projekt ist nach wie vor der globale Markt. Seit Beginn der achtziger Jahre setzen die Regierungen der Industrieländer auf die Liberalisierung und Deregulierung der Weltmärkte. Der globale Markt ist für sie nicht Grundlage für die Entwicklung einer globalen Zivilgesellschaft, sondern das eigentliche Ziel, ein Idealzustand, den es in möglichst reiner Form herzustellen und zu bewahren gilt.

Zur Zeit erleben wir den Widerspruch, daß der globale Markt längst so etwas wie eine globale Gesellschaft hervorgebracht hat, aber zugleich als stärkster Widersacher ihrer „Zivilisierung“ in Erscheinung tritt. Die führenden Politiker der Industrieländer haben zwar begonnen, in den Kategorien einer globalen Gesellschaft zu denken, etwa wenn sie von der „einen Welt“ und unserer „gemeinsamen Zukunft“ sprechen, aber sie weigern sich, die soziale und politische Entwicklung dieser globalen Gesellschaft zu ihrem Projekt zu machen. Neben direkten materiellen Interessen gibt es auch massive geistige Blockierungen. Die Zivilgesellschaft ist ja in erster Linie ein Verständigungsprozeß. Sie setzt die Fähigkeit voraus, sich in andere geistige und soziale Welten hineinzuversetzen, sie als prinzipiell gleichberechtigt zu akzeptieren und ihre Interessen zu berücksichtigen.

Solange wir mit dem stereotypen Bild von der „Masse“ von „Armen“ im Süden leben, die uns zu „überfluten“ droht, werden wir diese „Armen“ nie als gleichberechtigte Dialog- und Verhandlungspartner akzeptieren können. Die nach wie vor ungebrochene Macht solcher Bilder ist ein Indiz dafür, daß die Idee einer globalen Zivilgesellschaft nicht nur als Ensemble von Forderungen an die Regierenden, sondern vor allem als geistig-ethisches Projekt für die ganze Gesellschaft verstanden werden muß.

Vielleicht könnte der Weltsozialgipfel in Kopenhagen, von dem konkrete Ergebnisse ohnehin nicht zu erwarten sind, für die Akteure der hiesigen Zivilgesellschaft, von den Gewerkschaften bis zu den Kirchen, ein Anstoß sein, der Idee einer globalen Zivilgesellschaft in der eigenen Arbeit einen höheren Stellenwert einzuräumen, sie mit Leben zu füllen und bei den eigenen Mitgliedern die Bereitschaft zu stärken, sich als Teil einer globalen Gesellschaft zu begreifen. Gabriela Simon

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