■ Die Anderen: Zum Wahlsieg von Gerhard Schröder meinen "Liberation" (Paris), "De Volkskrant" (Amsterdam), "La Repubblica" (Rom), "The Guardian" (London), "Der Standard" (Wien) und die "Neue Zürcher Zeitung"
Zum Wahlsieg von Gerhard Schröder mein „Liberation“ (Paris): Fürs Rennen ums deutsche Kanzleramt hat sich Gerhard Schröder gestern ein Erste-Klasse- Ticket besorgt. Der Sieg Schröders ist so klar, daß er für Kohl eine Periode der Turbulenzen eröffnen könnte. Mehr als je zuvor droht Kohl angesichts des neuen Hoffnungsträgers der Opposition wie ein Mann der Vergangenheit zu erscheinen. Die SPD findet eine Einheit wieder, die ihr seit Jahren fehlte.
„De Volkskrant“ (Amsterdam) meint: Für Kanzler Kohl ist Schröders Triumph in Niedersachsen ein Zeichen an der Wand. Das Verlangen der deutschen Wähler nach Veränderung ist echt. Es ist noch zu früh für eine Prognose, aber nach 16 Jahren kommt das Ende der Ära Kohl in Sicht.
„La Repubblica“ (Rom): Der Wind aus Hannover weht über Deutschland und kündigt den Untergang des Vaters der Wiedervereinigung an, Helmut Kohl. Gerhard Schröder ist seit gestern das neue Gesicht des Gewinners der ersten Macht in Europa: Er hat bei den Wahlen nicht nur die CDU des Kanzlers geschlagen, sondern zugleich den orthodoxen Flügel seiner Partei.
The Guardian“ (London): Herr Schröder ist ein self- made machthungriger Einzelgänger. Er hält sich gerne bedeckt und ist im sozialdemokratischen Parteiapparat wenig beliebt. Dieser gestand letzte Nacht dennoch ein, daß Schröder als einziger die SPD nach 16 Jahren in der Wildnis wieder an die Macht zurückführen kann. Schröder zeigt seine Verachtung für die Partei, indem er prahlt, in fünf Monaten kein einziges Mal im Wahlkampf-Hauptquartier vorbeigeschaut zu haben. Seine Kollegen und Rivalen in der Partei beschrieb er einmal als einen „mittelmäßigen“ Haufen.
„Der Standard“ (Wien): Schröder ist ein Mann voller Widersprüche. Das heißt nicht, daß der niedersächsische Ministerpräsident keine Grundsätze hat, auf die er bei Bedarf pocht. Doch diese Grundsätze sind, darin liegt eben seine unverkrampfte Spezialität, ebenfalls widersprüchlich. Schröders Bonus ist, daß alles an ihm authentisch wirkt: Der rechtsgestrickte Pragmatiker ebenso wie der linke Weltverbesserer. Gerhard Schröder sieht darin keinen Widerspruch.
„Neue Zürcher Zeitung“: Bei aller Liebe für ihren roten Oskar kann es sich die SPD nicht leisten, den populärsten Politiker in den eigenen Reihen zurückzubinden und die Aussichten, Kohl im Herbst zu entthronen, dem Ehrgeiz des Parteivorsitzenden zu opfern. Schröder mag seine Partei bisher oft mit demonstrativer Mißachtung behandelt haben: Geschadet hat ihm dies in Niedersachsen nicht, und es wird ihm auch im Kampf gegen Kohl nicht schaden.
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