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Archiv-Artikel

Zum Streit bereit

Von JAF

1957 in Istanbul zur Welt gekommen, kam Necla Kelek als Elfjährige in die Bundesrepublik. Sie durchlebte als Kind und Jugendliche das übliche Muster, in dem sie sich der väterlichen Autorität unterzuordnen hatte: Ihr Vater verbot ihr beispielsweise die Teilnahme am Schulsport. Bildung war ihr Mittel, sich den Zumutungen der konservativen, einengenden Familie zu entziehen. In Schule und Hochschule entwickelte sie quasi trotzigen Ehrgeiz gegen ihre Bestimmung als Frau, die keine Ansprüche zu stellen hat.

Zunächst machte sie eine Ausbildung zur technischen Zeichnerin, studierte später Volkswirtschaft und Soziologie in Hamburg. Mit einer Arbeit über die heranwachsende Frau im Islam wurde sie 2001 promoviert. Damals galt sie noch als typische Sozialwissenschaftlerin mit Migrationshintergrund: im Zweifelsfall immer für das Verschweigen jener Probleme, die in den Communities der Einwanderer tatsächlich, unbeachtet und ignoriert von der Mehrheitsgesellschaft, existieren.

Mit ihren Büchern „Die fremde Braut“ (2005) wie „Die verlorenen Söhne“ (2006) zog sie sich viel Kritik zu. In ihnen schildert sie die real existierenden Praxen in den muslimisch geprägten Parallelgesellschaften – berichtet von Zwangsheirat, Importbräuten und der Verachtung für moderne Gesellschaften. Die Kritik an ihr reichte bis hin zu offenen Beschimpfungen, sie sei eine Nestbeschmutzerin, arbeite islamophoben Stimmungen zu und verzerre das Bild vom Erfolg der Migration, im Übrigen läge sie empirisch nicht ganz falsch, aber sie habe nur Einzelfälle markiert. In der teilweise gehässigen Debatte um ihre politischen Positionen wurde sie am prominentesten angegriffen in einer Zeitungsannonce, die im Namen von 60 WissenschaftlerInnen aus der Migrationsforschung veröffentlicht wurde. Vorgeworfen wurde ihr Fahrlässigkeit, wissenschaftliche Ungenauigkeit, kurzum: Ahnungslosigkeit.

Davon unabhängig, dass Recherchen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zufolge das Gros der Unterzeichner jener Annonce kaum als Migrationsforschende zu bezeichnen sei, wehrte sich Kelek mit nicht minder grobem Holz: warf ihren Kritikern vor, jahrelang zu den Verhältnissen in den muslimischen Communities geschwiegen zu haben, um ihren Status in der „gut ausgestatteten Welt der öffentlich finanzierten Migrationsforschung“ nicht zu gefährden; jene seien für das Scheitern einer gelingenden Integrationspolitik verantwortlich. Der Zweck der Anwürfe sei die „Angst um ihre Forschungsmittel“. Kelek zu Hilfe sprangen eine Reihe von Feministinnen, unter anderem vehement Alice Schwarzer und die Emma.

Zu der in der vergangenen Woche begonnenen Muslimintegrationskonferenz von Innenminister Wolfgang Schäuble wurde Kelek ebenso geladen, wie sie das Innenministerium Baden-Württembergs zu beraten versuchte, als dieses einen Fragebogen für Einwanderer („Muslimtest“) entwarf. 2005 erhielt sie den Geschwister-Scholl-Preis. In diesem Jahr wurde sie mit dem Corine-Sachbuchpreis für ihr Buch „Die verlorenen Söhne“ ausgezeichnet. Kelek ist seit diesem Jahr Inhaberin der Mercator-Professur an der Universität Duisburg-Essen. In zwei Vorlesungen spricht sie am 16. November in Duisburg und am 18. Januar 2007 in Essen über „Islam, Politik und Reform“.   JAF