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■ Zum „Einblick“-Prozeß vor einem JugendschöffengerichtKein Durchblick

Der Prozeß vor dem Jugendschöffengericht am Amtsgericht Groß-Gerau gegen die Herausgeber der neofaschistischen Hetzpostille Einblick ist ein skandalöses Verfahren. Skandalös deshalb, weil ein Verfahren um einen öffentlichen Aufruf zur Verübung von Mord und Totschlag an politischen Gegnern von der Staatsanwaltschaft an einem überforderten drittrangigen Gericht zur Anklage gebracht wurde – und noch dazu vor einem Jugendschöffengericht.

Immerhin sind drei der vier Angeklagten, von denen einer inzwischen erklärte, daß sie „gemeinsam“ den Einblick herausgegeben und vertrieben hätten, keine Jugendlichen und auch keine Heranwachsenden mehr. Was, bitte schön, hat etwa der 65jährige Faschist, der den Einblick in Bayern druckte, vor dem Jugendschöffengericht zu suchen?

Skandalös ist der Prozeß in Groß-Gerau auch deshalb, weil die Bundesanwaltschaft, die noch im letzten Jahr auch von Ermittlungen gegen eine „kriminelle Vereinigung“ gesprochen hatte, das gesamte Verfahren plötzlich an die Provinz-Staatsanwaltschaft in Darmstadt abgab. Und die verabsäumte es dann, das politische Umfeld der Angeklagten genau auszuloten und die Anklage um das – offenkundige – Delikt der Bildung einer kriminellen Vereinigung (Organisationsdelikt) zu erweitern. Immerhin hat die klar abgrenzbare sogenannte Anti-Antifa-Gruppe Wiesbaden/Rüsselsheim zu Kapitalverbrechen aufgerufen und auch auf internationaler Ebene mit gewaltbereiten Neofaschisten zusammengearbeitet.

In Groß-Gerau wird in diesen Tagen Wasser auf die Mühlen all derer geleitet, die da behaupten, „daß der Staat überhaupt nicht gewillt ist, die ihm eigentlich zur Bekämpfung faschistischer Strukturen zur Verfügung stehenden Mittel einzusetzen“ (ANTIFA X Groß-Gerau). Der Staat müsse gegenüber dem rechten Terror seine „Instrumente“ zeigen, hatte Ralph Giordano nach der Eskalation der Gewalt gegen AusländerInnen, Behinderte und andere Menschen gefordert.

Im Amtsgericht von Groß-Gerau zeigt der Staat den bekennenden NeofaschistInnen, die in ihrem Einblick politisch Andersdenkende zum Abschuß freigaben, noch nicht einmal den erhobenen Zeigefinger.

Bundesanwaltschaft und Staatsanwaltschaft haben in Sachen Einblick ihren speziellen Beitrag dazu geleistet, daß die Politik- und Staatsverdrossenenheit gerade bei den eigentlich politisch interessierten Jugendlichen – die zahlreich zu dem Prozeß in Groß- Gerau gekommen waren – weiter grassiert. Klaus-Peter Klingelschmitt

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