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Zum Christopher Street DayDunkel, aber ohne Darkroom

Die Besenkammer am Alex ist eine der ältesten Schwulenkneipen der Stadt - und mit 20 Quadratmetern ganz sicher die kleinste.

Am Samstag um 12:30 startet am Kudamm die CSD-Parade. Bild: AP

Morgens um halb zehn ist der Alexanderplatz bevölkert von Touristen und Menschen mit Kaffeebechern auf dem Weg zur Arbeit. Aus dem Dunkel der S-Bahn-Unterführung an der Rathausstraße tönt Musik. Herbert Grönemeyer knödelt "Flugzeuge in meinem Bauch", man hört Lachen und Gläserklirren. Über der Tür des winzigen Eingangs steht: "Besenkammer - die kleine Szenekneipe am Alex". Das Schild kündigt an, dass drinnen rund um die Uhr "gefeiert, getanzt, gelacht, geliebt und geheult" wird.

Dort wischt gerade eine Putzfrau den Boden, die zwei Männer am Tresen ziehen kurz die Beine an, lassen sich aber nicht weiter beim Biertrinken stören. Das Saubermachen dauert nicht lange - schließlich misst der kleine Raum mit dem wuchtigen Holztresen gerade einmal 20 Quadratmeter. Auf dem Tresen stehen Aschenbecher, ein digitales Schriftband an der Wand informiert über das Getränkeangebot des Monats - und den nächsten Reinigungstag.

"Wir haben zwar rund um die Uhr geöffnet, aber einmal im Monat ist Großputz, da müssen alle raus", sagt der Besitzer Christoph Rexhausen, der an diesem Morgen die Frühschicht schiebt: von 7.30 bis 14 Uhr. Sein Vorgänger in der Nachtschicht leistet ihm noch mit einem Feierabendbier Gesellschaft. Rexhausen selbst trinkt Kaffee und sieht erstaunlich ausgeschlafen aus für einen Kneipenwirt. Erst recht für den Wirt der Besenkammer, die als Überbleibsel der Ost-Schwulenszene ebenso legendär wie verrufen ist. "Wir sind ein verpöntes Lokal", sagt Rexhausen lachend. "Keiner mag uns - aber kommen tun sie dann doch alle." Alle - das ist an diesem Morgen zunächst nur ein Gast, der sich schüchtern hinter einer gedrechselten Holzsäule verbirgt. Abends und nachts sei es aber immer voll, erzählt der 28-Jährige. An Weihnachten habe man die maximale Kapazitätsgrenze von 50 Mann erreicht. "Da konnte man trinken, ohne umzufallen."

Dass in der Besenkammer exzessiv getrunken wird, ist ein Gerücht, das über die Minikneipe am Alex kursiert, die 1964 als Mocca-Bar eröffnet wurde. Dass sich dort ältere Ostberliner verschanzten und keine Eindringlinge wünschten, ist eine andere Überlieferung.

Beides Quatsch, lacht Rexhausen, der die Kneipe vor drei Jahren von seiner Mutter übernommen hat. Schon zu Ostzeiten sei die Besenkammer eine verrufene Spelunke gewesen - und ein informeller Schwulentreffpunkt. Aber immer ohne Darkroom, "nüscht Sexuellet", eine völlig normale Kneipe eben. Die Legendenbildung erklärt sich der Wirt mit dem wenig glamourösen Standort der Bar: Unter der S-Bahnbrücke, wo die Sonne nicht hinscheint, trieben sich eben auch seltsame Gestalten herum. Das schummrige Licht der Kneipe, das zum Nimbus des Verruchten beiträgt, sei ausdrücklicher Wunsch der Stammgäste, erklärt der Wirt - "die haben es gern familiär". Besonders Besucher aus dem Umland, wo Homosexualität oft noch als Problem gelte, seien dankbar für das Zwielicht. Seltsames oder gar Gefährliches geschehe aber nicht, Drogen, sexuelle Aufdringlichkeiten oder Gewalt würden nicht geduldet.

Im Gegenteil: "Bei uns ist jeder willkommen: Touristen, Frauen, Familienväter", betont der sportliche junge Mann, der selbst nicht schwul, aber quasi in die Besenkammer hineingewachsen ist. 1988 wurde seine Mutter Gabriele Diestel als "Restaurantführerin" in die Gaststätte der DDR-Handelsorganisation bestellt. Nach der Wende übernahm sie die Kneipe und führte ihren Sohn auf nachmittäglichen Inspektionstouren in die Kneipenwelt ein. Von der Stammkundschaft wird sie noch heute verehrt. "Ich bin in ziemlich große Fußstapfen getreten - Mutti war für diesen Job geboren", sagt Rexhausen, der das Lokal heute mit seinem Stiefvater Knut Arnhelm Diestel betreibt. Als seine Mutter von ihrer Krebserkrankung erfuhr, sagt er, habe sie ihn gebeten: "Mach doch mal, ja?" Innerhalb von zwei Jahren lernte der junge Mann, der gerade eine ungeliebte Kochausbildung und einen Zivi-Job im Behindertenheim hinter sich hatte, das gastronomische Handwerk. Freiwillig, wie er betont. "Obwohl man in dem Alter vielleicht schon noch andere Träume hat."

Zum Grübeln kommt Rexhausen an diesem Vormittag nicht. Zwei ältere Herren kommen rein, der Wirt fragt automatisch "Käffchen?" und stellt Aschenbecher hin. Man kennt sich, die Gespräche kreisen um den Spielautomaten, persönliche Pleiten und die Augenoperation gegen grünen Star, die dem einen bevorsteht und die der andere schon hinter sich hat. "Wir sind auch eine Heimat, eine Zuflucht", sagt der Wirt. "Wir sind immer da, hier kann man alles draußen vergessen." Sogar den Lauf der Tageszeiten, nickt der Mann von der Nachtschicht, der sich eben doch noch ein allerletztes Bier bestellt hat. Heimelig und ganz schön verqualmt ist es hier, besonders nachts komme man sich nah - "in meinem Fall jetzt nur im Gespräch", sagt Rexhausen und verzieht sein Jungengesicht zu einem breiten Grinsen. Die Heterosexualität des gut aussehenden Wirts dürfte so manchen Gast traurig stimmen. Vielleicht überlässt der Chef die Nachtschicht deshalb meist seinen neun Kolleginnen und Kollegen. Denn nachts kann es, nach dem Genuss von zu viel Pils und Kurzen, schon mal hemmungsloser werden. Dann ist der Besitzer meist nicht dabei - er feiert anderswo, wo ihn nichts an die Arbeit erinnert.

Einmal im Jahr trifft sich die Besenkammer-Gemeinde aus Chefs, Angestellten und Stammklientel zum "Brückenfest". Über 350 Adressen hat Rexhausen in seinem Verteiler, "Warme Würste, kühles Bier" lautet das schlichte Programm. Herzerwärmender aber als das lesbisch-schwule Stadtfest am Nollendorfplatz, da ist man sich einig am Tresen. Die Besenkammer hat dort seit Jahren einen Stand, wohl fühlen sich die Tresenhocker vom Alex aber nicht in der Schöneberger Homoszene. Das Schrille, Fetischhafte, das dort vorherrscht, hat so gar nichts zu tun mit den Männern, die unter dem S-Bahnhof Bier und Kaffee trinken. Neben ihrem unauffälligen Look - Kurzhaarschnitt, T-Shirt, Jeans - wirken schon das Halskettchen und das schneeweiße Shirt des Wirts wie ein Modestatement. Auffallen wollen die Besucher der Besenkammer nicht, sondern untertauchen in einer Gemeinschaft, die sich Tag für Tag, Nacht für Nacht aufs Neue durchmischt. Für frischen Wind unter den zumeist älteren Herren sorgen Reisende, neugierige Touristen und Frauen, die der Alex jeden Tag ins Innere der Besenkammer weht. Mehr Aufregung braucht man hier nicht, denn draußen ist es rau genug, wie der Mann von der Nachtschicht brummelt, der um halb elf immer noch am Tresen hockt. Auf ein allerletztes Bier.

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