■ Zum Ausgang der Wahlen in den USA: Liebe, Kunst & Politik
Drei Lebensbereiche gibt es, in denen gegen Ablehnung kein Einspruch möglich ist: die Liebe, die Kunst und die Politik. Ebensowenig wie der zurückgewiesene Liebhaber können durchgefallene Künstler oder abgelehnte Politiker mit dem Neinsager ins Gericht gehen. Und ebensowenig wie in der Liebe nützt in der Politik das Aufrechnen der guten Taten. Da hilft es Clinton wenig, daß er eigentlich eine eindrucksvolle Erfolgsbilanz vorweisen kann, die von ersten Schritten zur Haushaltssanierung zu außenpolitischen Erfolgen reicht. Die amerikanische Wählerschaft hat Clinton trotzdem eine Ablehnung erteilt und sich in der Tat wie eine launische Geliebte gebärdet. Hatte das Volk doch vor gerade zwei Jahren für den Wechsel gestimmt, weil man das Gezänk zwischen demokratischem Kongreß und dem Republikaner im Weißen Haus satt hatte. Mit dem Ergebnis des Wechsels nicht zufrieden, stimmte das Volk abermals für den Wechsel und erhält nun genau das, was es an Washington am meisten haßt – eine politisch völlig festgefahrene Lage.
Leuten, die sich nicht recht für einen Partner entscheiden können, sagt man Bindungslosigkeit nach. Ist das amerikanische Volk bindungslos geworden? Während der letzten drei Präsidentschaften seit Carter wechselten 84 Prozent der Sitze im Repräsentantenhaus den Besitzer. Amerikaner verbrauchen ihre Politiker im Ex-und-hopp-Verfahren. Dahinter steckt ein tiefes Mißtrauen gegen jede Art von Politik. Nach amerikanischer Auffassung ist „Government“ an allem schuld: am Arbeitsplatzverlust, am sinkenden Lebensstandard, an der steigenden Kriminalität. Kein Wunder, daß Politik es da schwer hat, vor allem wenn erwartet wird, daß sich Besserung während einer zweijährigen Legislaturperiode – gleichsam über Nacht – einstellt.
Der Ausgang dieser Wahl ist allerdings mehr als eine der üblichen Manifestationen amerikanischer Politikverdrossenheit. Er hat die politische Landschaft gründlich verändert. Er ist Ausdruck einer weltweiten Grundströmung von Unzufriedenheit im Zeitalter der Massendemokratie. Immer mehr Menschen haben im Zeitalter der Globalisierung aller Lebensbereiche das Gefühl, keinen Einfluß auf ihre unmittelbaren Lebensumstände zu haben. Entscheidungen werden von immer ferneren und undurchschaubareren Instanzen getroffen. Politik ist so zur institutionalisierten Entfremdung geworden. Den Republikanern gelang die Mobilisierung eines politischen Grundbedürfnisses. Menschen wollen und können nur lokal ihre Lebensumstände selbst gestalten. Die Demokraten werden sich überlegen müssen, ob sie mit den klassischen sozialtechnischen Instrumenten der großen Reformen und einer national oder gar global angelegten Politik noch Erfolg haben können. Reed Stillwater
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