Zukunft des Tourismus: Sexy, aber selbstzufrieden
Berlin profitiert enorm von seinem Image als günstige Kreativ- und Kulturmetropole. Ob das jedoch nachhaltig Wirtschaftskraft generiert, ist fraglich. Der Klimawandel stellt die Branche vor Herausforderungen.
Wenn Karl-Heinz Müller mit einer Gabe gesegnet ist, dann mit Selbstbewusstsein. Als "Kopf hinter der "Bread & Butter" wurde der Modemessen-Chef beim "Tag des Tourismus" am Montag angekündigt. Müller kam, sprach doppelt so lang wie geplant - und erzählte doch nur, wie toll seine Messe sei. Dazwischen spielte er Werbefilmchen ein, in denen hip gekleidete Menschen zu Clubmusik unter S-Bahn-Brücken durchlaufen. Mit der Thematik der Konferenz - der Zukunft des Tourismus - hatte das wenig zu tun. Es verdeutlichte indes, dass die Branche vor allem sich selbst feiert.
Die Zahlen geben den Touristikern ja recht: Ein Rekord von 19 Millionen Übernachtungen im vergangenen Jahr, mehr als eine Milliarde Euro Umsatz, mehr als 230.000 Arbeitsplätze, die direkt oder indirekt vom Tourismus abhängig sind. Die Wirtschaftsberater von McKinsey haben den Tourismus jüngst als einen der Zukunftsbereiche für die Wirtschaftsentwicklung der Stadt ausgemacht. "Wir sind die Branche, die am meisten wächst", sagte der Sprecher der Berliner Tourismus Marketing, Christian Tänzler. Seiner Ansicht nach profitiert der Tourismus vom Image Berlins als günstiger Kreativstadt - und trägt zu dessen Ausbau bei. Die Stadt spreche Familien, Pauschaltouristen, aber auch Kongress- und Messeveranstalter an. "Wir bieten Qualität, die wenig kostet."
Wie nachhaltig dieses Image als Billigmetropole sein kann, ist indes fraglich. Zwar schafft die Branche Arbeitsplätze, die liegen aber oft im Niedriglohnsektor. Es seien zunächst einmal Jobs, verteidigt Tänzler die Hotel- und Gaststättenlobby. Preisgünstige Hotels seien wichtig, weil sie Billigtouristen anlockten. "Das sind die zahlungskräftigen Gäste von morgen." Gleichzeitig bekannte er, dass die Branche langfristig darauf hinarbeiten müsse, "höhere Preise für unsere Leistung" zu erzielen. Möglich werde dies durch neue Zielgruppen, etwa Gäste aus den Golfstaaten, China und Brasilien. Ob die kommen, ist angesichts der Wirtschaftskrise fraglich - der Ausbruch des isländischen Vulkans Eyjafallajökull verdeutlichte, dass die Lobbyisten auf manche Ereignisse keinen Einfluss haben.
Auch warnte Musikszenen-Kenner Tim Renner davor, dass sich das "Arm, aber sexy"-Prinzip Berlins nicht ewig werde halten können. "Je erfolgreicher eine Stadt wird, desto mehr steigen die Fixkosten", sagte der Chef des Radiosenders Motor FM. Heißt: Die Kreativszene könnte sich selbst erledigen. Kein Wunder, dass Tourismus-Chef Burkhard Kieker davon sprach, die Rahmenbedingungen für "ein gewisses Chaos" zu erhalten. Wie das gelingen kann, sagte er nicht.
Die am meisten unterschätzte Herausforderung dürfte der Klimawandel sein. Georisikenforscher Gerhard Berz warnte: "Flüge werden teurer werden." Das werde zu einem Rückgang an Flugtouristen vor allem an Zielorten von Billigfliegern führen - zum Beispiel Berlin. Mittelfristig müsse die Stadt zudem mit längeren Hitzeperioden umgehen können; die Temperaturen könnten in Spitzenzeiten auf mehr als 40 Grad steigen. "Wir müssen die exponierte Lage Berlins in einem Seengebiet deutlicher hervorheben", so der Forscher.
Wohlwollend könnte hier auf das vermeintlich vorausschauende Motto der Konferenz verwiesen werden: "Auf der Welle reiten und oben bleiben." Womöglich war es jedoch nur Ausdruck von größtmöglicher Selbstzufriedenheit.
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