Zu Gast im Dschungel: Geister und Satelliten
Heute sind die Bidayuh - ihrem Kopfjägererbe zum Trotz - bekannt für ihre Gastfreundschaft. Eine Reise zu den Langhäusern im Westen Borneos.
"Tuak - hausgemachter Reiswein" verkündet ein Schild am Eingang von Herrn Guniis Café am Ende des Dorfes. Das improvisierte Café steht mit 150 anderen Häusern auf einer Plattform aus zusammengebundenen Bambusrohren, hoch über dem Dschungelboden.
Ein paar Hühner laufen hektisch vorbei, dann erscheint ein vom Alter gebeugter Mann mit einigen kargen Früchten in einem Korb, gefolgt von einem Teenager mit Death-Metal-T-Shirt. Angesichts der Hitze entscheide ich mich für ein Wasser, während Edward, mein malaysischer Guide, das Wiedersehen mit Herrn Gunii mit einem Schluck Reiswein begießt.
Schon an die 500 Jahre leben die Bidayuhs, einer der indigenen Volksstämme Borneos, im Langhaus von Annah Rais, kurz vor der indonesischen Grenze, die hier irgendwo im Dschungel verläuft. Seitdem hat sich viel verändert: Die Strohdächer sind Wellblech gewichen, aus dem Satellitenschüsseln wuchern, einige wohlhabende Dorfbewohner haben die alten Holzhäuser durch Steinbauten ersetzt. "Es ist nur das Material, das sich wandelt", kommentiert Edward. "Das Entscheidende ist: Ein Langhaus ist kein Gebäude, sondern eine Art des Zusammenlebens, und die ist bei den Bidayuhs traditionell wie eh und je."
Herr Gunii hat zusammen mit einigen befreundeten Familien ein Homestay-Programm gegründet, um fremde Gäste an dem Gemeinschaftsleben der Bidayuhs teilhaben zu lassen. "Wir machen hier keine inszenierte Cultural Show, sondern integrierten Tourismus: Wir kochen und essen zusammen, abends kommen die Leute im Langhaus zusammen, und man nimmt direkt am Dorfleben teil", erläutert er.
"Wir kommen morgen wieder", sage ich zu Herrn Gunii. Eine Nacht im Langhaus, mit Nachtwanderung durch den Dschungel - das klingt verlockend. Am Abend sitze ich mit Edward in einem Restaurant in der Provinzhauptstadt Kuching. "In Borneo gibt es etwa 30 verschiedene Völker", erklärt mir Edward.
"Die Bidayuh lebten ursprünglich am Meer, wurden dann aber von anderen Stämmen vertrieben, flüchteten in die Berge und bauten dort ihre Langhäuser. Sie lassen sich leichter verteidigen als Dörfer mit einzelnen Häusern." Vor noch vor nicht allzu langer Zeit war man auf Borneo gut beraten, auf der Hut zu sein.
Die verschiedenen Clans führten blutige Feldzüge gegen ihre Nachbarn und brachten die Köpfe der Besiegten als Trophäe mit nach Hause. Noch heute steht in jedem Langhaus ein Gebäude, in dem diese Totenschädel aufbewahrt werden. Heute sind die Bidayuh - ihrem Kopfjägererbe zum Trotz - bekannt für ihre Gastfreundschaft.
"Um die wirklich zu erleben, muss man sich auf ein Boot setzen und ein paar Stunden durch den Regenwald flussaufwärts fahren", sagt Edward. "Da sehen die Langhäuser sicher noch aus wie vor hundert Jahren", spekuliere ich. Um Edwards Mundwinkel spielt ein Lächeln. "Du würdest dich wundern. Das Landesinnere von Borneo ist oft besser entwickelt als die Küste. Die Menschen sind dort durch die Holzindustrie reich geworden."
3-Tage-Paket mit Übernachtung, Vollpension, Ausflügen, Rafting, Transfer ab Kuching 80 Euro pro Person. Sarawak Cultural Village Pantai Damai: www.scv.com.my/pac_stay.jp
Bidayuh Longhouse Homestay No. 71, Kampung Annah Rais, 94200 Kuching, Tel. 0060-82-457941, www.longhouseadventure.com
Permai Rainforest Resort Pantai Damai: www.permairainforest.com
Tour Guide Edward Lakin Mansel, E-Mail: edwardmansel@yahoo.co.uk
Trotz Dschungel, Langhäusern und Orang-Utans: Nicht alle Klischees über das wilde Borneo entsprechen der Wirklichkeit. Einen Einblick in die kulturelle Vielfalt der drittgrößten Insel der Welt bekommt man auch ohne Dschungelexpedition. An der Küste von Santubong, etwa 30 Kilometer von Kuching entfernt, liegt das Sarawak Cultural Village, in dem traditionelle Häuser der sieben wichtigsten Volksgruppen der Provinz rekonstruiert wurden.
Hier wird Getreide gemahlen, Perlenschmuck hergestellt und die Gewinnung von Sago demonstriert, um dem Freilichtmuseum Leben einzuhauchen. Auch in den verschiedenen und zum Teil sehr eindrucksvollen Häusern des Cultural Village kann man übernachten - keine schlechte Option, vor allem angesichts der Nähe zum Meer.
Wir fahren an den Strand. In einer von dichtem Dschungel umgebenen Bucht liegt das Permai Beach Resort, wohl eines der ungewöhnlichsten Hotels in Asien. Die Zimmer sind lose über das 180.000 Quadratmeter große Gelände verstreut, am Rand des Regenwaldes blicken Baumhäuser durch die Wipfel der Urwaldriesen auf den Strand. Dank seiner Lage zwischen Dschungel und Meer bietet das Hotel verschiedenste Outdoor-Aktivitäten von Tauchen über Nachtwanderungen durch den Urwald bis hin zu Kajak-Ausflügen entlang der Küste an. Noch ein Drink im Rainforest Café mit Blick über den Dschungel und das Meer, und es wird Zeit für den Rückweg nach Annah Rais. Als wir am späten Nachmittag das Ende der Asphaltstraße erreichen, ziehen Nebelschwaden über die Bambusplattform, das Langhaus liegt wie ausgestorben da. "Die älteren Leute sind noch auf den Feldern", erklärt Edward. "Viele jüngere arbeiten mittlerweile in Kuching und kommen nur am Wochenende zurück zu ihren Familien". Eine unwirkliche Atmosphäre liegt über dem Ort, als wir vorbei an der alten Schädelstätte zu Herrn Guniis Café gehen.
"Vielleicht sind Geister unterwegs", meint Herr Gunii. Auf Borneo wird man nur wenige finden, bei denen sich unter der Oberfläche der christlichen Religion nicht der alte animistische Glaube verbirgt. "Hier im Dschungel muss man vorsichtig sein", raunt Herr Gunii mir zu. Vor einiger Zeit sei ein holländischer Reiseführer plötzlich verschwunden. Man hat ihn gesucht, aber nicht gefunden. Er ist zwei Tage lang im Wald herumgeirrt - nachher gab er an, jemand hätte seinen Namen gerufen, und er sei der Stimme gefolgt.
Ich überlege, welchen Anteil der Reiswein an dieser Geschichte hat, entscheide mich aber gegen die Nachtwanderung. Für eine Begegnung mit den Geistern der Bidayuhs ist auch morgen, bei Tageslicht, noch Zeit.
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