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■ Zoran Djindjić von der serbischen Demokratischen Partei über die Chancen eines Friedens in Bosnien-Herzegowina„Bosnien ist kaum überlebensfähig“

taz: Herr Djindjić, welche Chancen geben Sie einem Frieden in Bosnien auf der Grundlage der amerikanischen Verhandlungsinitiative?

Zoran Djindjić: Wir betrachten die amerikanischen Vorschläge als eine logische Folge der jugoslawischen Krise. Sie sind für uns akzeptabel. Das Tragische ist, daß es so viele Opfer gegeben hat, um zu dieser Lösung zu kommen.

Glauben Sie, daß der Verfassungsentwurf für Bosnien-Herzegowina tragbar ist?

Nein, die Verfassung ist sehr realitätsfern. Sie versucht etwas zusammenzukleben, was längst auseinandergefallen ist. Aber im Moment kann man es wahrscheinlich nicht anders machen. Es ist noch nicht soweit, daß der Staat auseinanderbricht, aber man kann ihn auch nicht zu einem normalen Staat erklären. Der jetzige Kompromiß ist eine Zwischenlösung wie schon Titos Jugoslawien eine Zwischenlösung war.

Was müßte denn passieren, damit Bosnien als eigener Staat eine Chance hat?

Ein massiver wirtschaftlicher Aufschwung wäre die einzige Perspektive. Wenn es in Sarajevo, in Bosnien insgesamt mehr Arbeitsplätze gibt als in Serbien oder Kroatien, dann werden auch die Serben froh sein, daran teilhaben zu können. Wenn Zagreb und Belgrad zwei Magnete bleiben, die die Leute anziehen, kann auch die Verfassung ein Auseinanderfallen Bosniens nicht verhindern.

Auf der Basis welcher Landkarte werden die moslemisch- kroatischen und die serbischen Gebiete festgelegt?

Genau auf der Grundlage der von beiden Seiten jetzt kontrollierten Gebiete.

Was passiert mit Sarajevo?

Das bleibt noch Verhandlungsgegenstand. Ich schätze, daß Sarajevo eine ungeteilte Stadt unter internationaler Protektion, aber moslemischer Kontrolle wird.

Hätte man dieses Ergebnis nicht auch früher haben können?

Natürlich, schon 1990. In dem Moment, als klar wurde, daß das alte Jugoslawien zerfällt, war auch klar, daß Bosnien zerfallen wird. Die emotionale Ursache für den Zerfall waren die nationalen Bewegungen. Die Menschen dachten, sie würden sich aus nationalen Gründen trennen. Bosnien konnte auch nicht erwarten, daß sich die bosnischen Serben und die bosnischen Kroaten mehr als Bürger Bosniens denn als Mitglieder der nationalen Bewegungen fühlten, die ja überall im Aufschwung waren. Mit der Anerkennung Sloweniens war klar, daß es in Bosnien zu einem riesigen Problem kommt. Der Westen hat nicht so weit gedacht,und deshalb ist er an dem Krieg auch mitschuldig.

Eine Teilung hätte aber bedeutet, daß die Moslems als Verlierer zwischen die Fronten Kroatiens und Serbiens geraten wären.

Wenn man konzeptionell an das Problem herangegangen wäre, hätte es eine andere Option gegeben. Das alte Jugoslawien als Ausgangspunkt zu nehmen und zu sagen: Wenn Slowenien sich trennt, haben wir ein Problem in Bosnien. Die Minderheitenfragen in Kroatien lassen sich regeln, aber in Bosnien nicht, das muß man grundsätzlich lösen. Wenn die moslemische Frage nicht zu lösen ist, darf man die slowenische Sezession nicht zulassen. Wenn wir eine Lösung für die Moslems gefunden haben, darf sich Slowenien auch loslösen, aber erst dann. Das wäre eine Lösung im Sinne einer gemeinsamen europäischen Politik gewesen. Alle wußten, daß es in Bosnien eine Katastrophe geben würde.

Hat der partielle Waffenstillstand in Bosnien die Verhandlungen in Ostslawonien erleichtert?

Ja, natürlich. Bosnien ist das zentrale Problem. Wenn der Krieg in Bosnien beendet wird, sind alle Kriege in dieser Region beendet.

Also Ostslawonien bleibt kroatisch mit starken Minderheitenrechten für die Serben?

Das ist die eindeutige Niederlage der Politik von Milošević. Die Serben werden da auf Dauer nicht leben können, sondern vertrieben werden. Milošević hätte nach dem Fall von Knin die Bedingung stellen müssen, daß entweder im Rahmen einer Gesamtlösung das Problem der 200.000 vertriebenen Krajina-Serben gelöst wird, oder wir die Vertreibung akzeptieren, dann aber eine territoriale Kompensation in Slawonien fordern, um die Leute dort anzusiedeln. Wenn Kroatien Ostslawonien wiederhaben will, müssen die 200.000 Serben auch zurückkehren können.

Tudjman hat doch eine Rückkehrmöglichkeit eingeräumt.

Tudjman sagt jeden Tag etwas anderes. So wie die wenigen Serben, die in der Krajina geblieben sind, dort jetzt schikaniert werden, wird niemand zurückkehren wollen oder können. Die Kroaten reden zwar von Rückkehr, aber gleichzeitig erschießen sie alte Leute. Tudjman will ein ethnisch reines Kroatien, das ist ganz klar.

Und in Belgrad sind die Krajina-Serben auch nicht gerne gesehen.

Wir haben keinen Staat, der dazu willens und in der Lage wäre, diese Leute aufzunehmen. Milošević und den Kriminellen um ihn herum ist es völlig egal, was aus den Flüchtlingen wird. Die Aussiedlung der Flüchtlinge nach Kosovo ist rein ideologisch motiviert. Die Milošević-Clique will die Leute aus Belgrad wegbekommen und zugleich die demographische Situation im Kosovo ändern. Das ist dasselbe wie damals, als Milošević die Krajina-Serben zum Aufstand ermuntert hat. Einmal, um seine Stärke zu zeigen und vor allem, um Tudjman zu ärgern. Die Menschen waren nur ein Instrument für seine Politik. Jetzt macht er dasselbe mit den Krajina-Flüchtlingen. Das ist wahnsinnig. Die Krajina-Leute können dort gar nicht überleben.

Sind Sie dafür, daß nach einem Waffenstillstand die Kriegsverbrecherprozesse fortgesetzt werden?

Natürlich, aber nicht so wie jetzt in Den Haag. Es ist unverschämt, daß Izetbegović in allen Ehren empfangen wird, Tudjman für die Verbrechen in der Kraina mit Milde ermahnt wird, und auf der anderen Seite Karadžić und Mladić als Kriegsverbrecher angeklagt werden. Gleiches Recht für alle. Außerdem muß klar sein, ob es um die politische oder die persönliche Verantwortung geht. Geht es um Nürnberger Prozesse oder darum, diejenigen, die als Kriegsverbrecher selbst getötet haben, anzuklagen. Ich bezweifle stark, daß Karadžić persönlich jemanden getötet hat. Wenn man die Schreibtischtäter auch bestraft, was ich gut fände, muß man Instrumente finden, die die Schuldfrage präzise definieren. Wenn man sich die Masse der Verbrechen anschaut, nehmen sich Karadžić, Tudjman, Izetbegović und Milošević nichts. Interview: Jürgen Gottschlich, Belgrad

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