Zeitungsverbands-Chef über Online-Euphorie: "Das ist doch irre"
Gavin O'Reilly, Präsident des Weltzeitungsverbands, sieht keine Anzeichen für ein Ende der gedruckten Zeitung - und amüsiert sich über deutschen Pessimismus.
Deutschlands Zeitungsverleger hadern gern. Lange Listen präsentieren sie auf ihren Kongressen, mit echten, gefühlten und hausgemachten Problemen: Das Internet lässt die Auflagen schrumpfen, junge LeserInnen sterben aus, aus Brüssel drohen Werbeverbote, der öffentlich-rechtliche Rundfunk will die Verleger online platt machen. Die Branchenpresse schreibt schon wieder von Zeitungskrise.
Gavin OReilly versetzt dieser deutsche Pessimismus in einen Zustand amüsierter Angespanntheit. Der Präsident des Weltzeitungsverbandes (WAN) ist als gelernter Amerikaner viel zu höflich, um seine deutschen KollegInnen davon etwas spüren zu lassen, die ihn kürzlich zu ihrem Jahreskongress eingeladen hatten. Die Antworten des gebürtigen Iren, der im Vorstand des von seiner Familie kontrollierten Zeitungskonzerns Independent News and Media (INM) ist, sind jedoch robust: "Haben sich die Verleger zu billig verkauft? Natürlich haben sies", sagt er- nicht nur in Deutschland, sondern auf Westeuropas etablierten Zeitungsmärkten generell. Diese schrumpfen zwar, daraus macht auch der 42-jährige OReilly keinen Hehl. "Doch wir reden hier von einem verdammt hohen Niveau: Zeitungen sind in vielen Märkten nach wie vor die Nummer eins, wenn es um Werbeeinnahmen geht."
O'Reillys Konzern ist Marktführer in Irland und Südafrika, besitzt in London den Independent und gehört zu den größten Zeitungshäusern Australiens und Neuseelands. Nach Konzernangaben macht das rund 200 Titel und mehr als 100 Millionen LeserInnen. Dass er daher dazu neige, sich die Situation seiner Branche schön zu reden, weist er aber von sich: "Ich bin nicht mal Optimist, nur Realist."
Sein Lieblingsvergleich ist das Fernsehen, bei dem sich in den USA die Marktanteile der großen Networks - und damit zum Gutteil auch die Werbeinnahmen - in den vergangenen fünf Jahren halbiert haben, weil die ZuschauerInnen zu Spartenkanälen und digitalen TV-Angeboten wechseln. Dagegen ginge es den Zeitungen wirklich noch Gold, sagt OReilly - und muss dann doch zugeben, dass der US-Pressemarkt eine Talfahrt hinlegt.
Doch auch das ist für den gelernten Betriebswirt, der im Studium einen Nebenjob als Aktienbroker in Hongkong einschob, kein Argument: Die USA seien in diesem Punkt kein "lead market", also nicht unbedingt Vorbote einer Entwicklung. Zudem hätten sich außerhalb Deutschlands, wo es keine Gratistageszeitungen gibt, viele Märkte selbst kannibalisiert. "Überall da, wo es heißt, Online macht die Zeitung platt, sollte man sehr genau hinsehen, ob sich Verleger nicht auch selbst mit zum Teil abenteuerlichen Gratis-Angeboten das Wasser abgraben." Zumindest diese Sentenz OReillys ist Bestätigung für deutsche Verleger, die im Modell Gratiszeitung immer den Sündenfall gesehen haben.
Doch wie beurteilt der Weltverlegerpräsident nun konkret die Herausforderung durch das Internet? "Ich habe noch nie eine Diskussion erlebt, wo die Positionen so absolut waren - hier Print, da Online", sagt OReilly. Dabei sei er als Finanzmensch immer "decidedly underwhelmed", also alles andere als begeistert, wenn er sich die Erlöse im Internet genauer anschaue. "Übertreibung ist da das A und O", sagt er. "Natürlich verzeichnet der Online-Sektor derzeit phänomenale Zuwächse, wenn man sie in Prozenten ausdrückt. Aber in realen, harten Zahlen sieht das doch ganz anders aus." Jetzt ist OReilly richtig in Fahrt: "Ich bin enttäuscht von Verlegern, die das Gehirn ausschalten, sobald es um Online geht", sagt er. Jedes Verlagsprojekt brauche einen soliden Businessplan. "Und nur weil es heißt, im Internet gibt noch keine wirklich erfolgreichen Geschäftsmodelle, ist dort alles erlaubt - das ist doch irre." Da säßen "junge, sehr smarte Leute mit coolen Ideen für neue Websites und Online-Angebote". Ihr Nachteil: "Sie haben noch nie ein Unternehmen geführt." Und auf der anderen Seite stehe "das mittelalte Top-Management, das völlig verunsichert ist und aus blanker Verzweiflung auf jeden Trend aufspringt".
Das wirklich Fatale an der aktuellen Debatte aber sei, dass diese nach Siegern und Besiegten verlange - und sich viele europäische Verleger zu leicht in die Rolle der Besiegten abdrängen ließen. Die Zeitung sei dabei alles andere als tot, sagt OReilly, und wird zur Bekräftigung noch einmal ganz amerikanisch: "Look, Ive seen it all" - schließlich dauere die Schlacht um das vermeintliche Ende von Print schon über ein Jahrzehnt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!