Zeitplan für neuen US-Präsidenten: Druck auf Obama ist enorm
Finanzkrise eindämmen, Energieumbau beginnen, Irakkrieg beenden: Die Ziele von US-Präsident Obama sind ambitioniert. Er hat zunächst zwei Jahre Zeit. Dann sind Kongresswahlen.
Barack Obama steht unter enormem Druck. Die Finanz- und Wirtschaftskrise verlangt dem designierten Präsidenten schnelles Handeln ab - und wenn er seine ambitionierten Pläne, die er im fast zwei Jahre währenden Kampf um die Präsidentschaft hundertfach dargelegt hat, tatsächlich in die Tat umsetzen will, braucht er dafür organisierte Mehrheiten im Kongress. Das bedeutet wiederum, dass Obama zunächst ein Zeitfenster von rund zwei Jahren hat. Dann nämlich, im November 2010, sind schon wieder Kongresswahlen, und das gesamte Repräsentantenhaus sowie ein Drittel aller Senatoren stehen zur Neuwahl an.
Selbst wenn Obama nicht, wie der letzte demokratische Präsident Bill Clinton 1994, zwei Jahre nach Amtsantritt die Mehrheit im Kongress verlieren sollte, so steht doch in der zweiten Hälfte seiner Amtszeit die eigene Wiederwahl ganz oben auf der Prioritätenliste. Will Obama tatsächlich Großes erreichen, dann muss er das schnell angehen. Den Schwung dazu sollten ihm der deutliche Wahlsieg und die vergrößerten demokratischen Mehrheiten in beiden Kammern des Kongresses gegeben haben. Nur: Gegenwind hat er auch. Denn viele der neu gewonnenen Mandate sind durch sogenannte "Blue Dogs" besetzt, konservative Demokraten also, deren Abstimmungsverhalten in vielen Fragen dem moderater Republikaner eher entspricht als dem etwa der liberalen Repräsentantenhaussprecherin Nancy Pelosi. Es wird der wichtigste Test seiner Führungsfähigkeit sein, ob Obama mit dem Kongress so arbeiten kann, dass er zügig Mehrheiten für seine wichtigsten Projekte zusammenbekommt.
Allererste Dringlichkeit, das hat Obama mehrfach klargemacht, muss das Überwinden der Finanzkrise haben. Selbst der alte Kongress, der noch bis zum 20. Januar im Amt ist, könnte ein Paket zur Wirtschaftsankurbelung verabschieden - tut er es nicht, oder verhindert der noch amtierende Präsident George W. Bush ein solches Paket per Veto, wird das eine der ersten Amtshandlungen Obamas und des neuen Kongresses sein müssen.
Zum Stimulierungspaket - eine Größenordnung von 100 Milliarden US-Dollar ist im Gespräch - muss entweder der Aufkauf faul gewordener Immobilienkredite oder eine andere Lösung kommen, die jene tausendfachen Zwangsversteigerungen von Häusern verhindert, deren Eigentümer die Raten nicht mehr zahlen können und die auf der Straße landen.
Langfristigen strategischen Charakter hat Obamas zweite Priorität: Energiesicherung und Umstellung auf erneuerbare Energien. 15 Milliarden Dollar, hat Obama öffentlich versprochen, will er pro Jahr in erneuerbare Energie stecken und damit innerhalb der nächsten zehn Jahre fünf Millionen neue Jobs schaffen. Das ist populär und dürfte im Kongress leicht Mehrheiten finden - solange über die Finanzierung nicht abgestimmt werden muss. Aber der weitergehende Schritt, die Einführung nationaler Grenzwerte und eines CO2-Emissionshandels, dürfte im Kongress sehr schwer durchzubringen sein - nicht zuletzt weil die von entsprechenden Kostensteigerungen betroffenen Unternehmen ja irgendwo angesiedelt sind, wo Abgeordnete und Senatoren eben auch ihre Wiederwahl gewinnen wollen.
Zwar kann Obama sein Versprechen, die höchste Einkommensklasse mit einem Jahresverdienst über 250.000 US-Dollar wieder in der Größenordnung der Clinton-Ära zu besteuern, sehr leicht einlösen. Bushs Steuererleichterungen nämlich laufen im nächsten Jahr aus - um sie nicht zu verlängern, braucht Obama nicht einmal eine Kongressabstimmung. Aber schon die angekündigte Erhöhung der Kapitalertragssteuer von 15 auf 20 Prozent durch den Kongress zu bringen, dürfte eine harte Nuss werden. Möglich, dass Obama darauf vorerst verzichtet - ohnehin sind derzeit nicht viele Kapitalerträge vorhanden. Dementsprechend könnten allerdings auch die geplanten Steuererleichterungen für die Mittelklasse zumindest moderater ausfallen als versprochen.
So kann es gut sein, dass Barack Obama von ein paar erklärten Zielen seiner Präsidentschaft zunächst Abstand nehmen muss: Er wird das Vorhaben, nach Jahren der Rekorddefizite - erwartet wird für 2009 ein Minus von einer Billion US-Dollar - wieder zu einem ausgeglichenen Haushalt zu kommen, genauso wenig umsetzen können wie seine Vorstellungen zur Gesundheitsreform. In diesem Bereich, immerhin einem Kernpunkt seiner Kandidatur schon während der Vorwahlen gegen Hillary Clinton, rechnen Experten damit, dass zunächst lediglich das staatliche Programm zur Gesundheitsversicherung von Kindern einkommensschwacher Familien ausgeweitet wird. Damit zeigt die Regierung, dass die Dinge in Bewegung sind - ohne allzu viel Geld auszugeben.
Außenpolitisch muss sich Obama recht schnell Spielraum verschaffen. Auf der Agenda stehen eigentlich die Schließung des Gefangenenlagers Guantánamo und zumindest der Einstieg in einen Irak-Abzug, von dem sich Obama darüber hinaus finanzielle Einsparungen erwartet. Beides aber ist in der Praxis nicht leicht zu bewerkstelligen. Weder gibt es eine klare Vorstellung darüber, wo zumindest jene Guantánamo-Gefangenen hin sollen, die nicht ohnehin freigelassen werden müssen, noch kann Obama es sich leisten, die in den letzten Monaten im Irak erzielten Erfolge jetzt leichtfertig aufs Spiel zu setzen.
Es überrascht nicht, dass Obama sich in den kommenden Jahren vor allem mit dem Erbe seines Vorgängers auseinanderzusetzen hat. Obama wusste das vorher. Dazu allerdings kam die Finanzkrise, die ihm zwar vermutlich den Wahlsieg erleichtert hat, die schwierige Haushaltslage und den Handlungsdruck aber noch verschärft hat. Immerhin: Das Wahlergebnis vom Dienstag hat Obama mehr politische Rückendeckung gegeben als erwartet. Er hat eine Chance.
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