Zehn Mark für sie, 300 für den Zuhälter

Seit dem Mauerfall gedeihen in Berlin Prostitution und Menschenhandel mit Osteuropäerinnen. Der Senat setzte eine Kommission ein. Die Hurenprojekte fordern ein Aufenthaltsrecht  ■ Von Ute Scheub

Berlin (taz) — Was heißt „Orgasmus“ auf Russisch und „Kondom“ auf Thailändisch? Wie übersetzt man „Das mache ich nicht“ oder „Ich möchte einen Anwalt rufen“ aus dem Polnischen? Nicht nur ein kleines Sprachlexikon, sondern auch rechtliche Tips sind in der Broschüre zu finden, die „Hydra“, ein Berliner Selbsthilfeprojekt der Hurenbewegung, derzeit unter den gut 3.000 ausländischen Prostituierten der Hauptstadt verteilt. Das Heftchen trägt den Titel „Making money in Berlin“, der Programmatik entsprechend, mit der die selbstbewußten Hydra- Frauen seit Jahren die Anerkennung der Prostitution als ganz normalen Beruf einfordern.

Die Ausländerinnen in diesem Gewerbe, deren Zahl zunimmt, sind in den Augen von Hydra- Sprecherin Andrea Petsch dementsprechend „keine passiven Opfer“, sondern „Arbeitsmigrantinnen“. Ähnlich sieht es Wiltrud Schenk, Mitarbeiterin einer bezirklichen Beratungsstelle: „Sie entscheiden sich, zu bleiben, weil sie hier immer noch mehr verdienen als zu Hause.“ Berlins Ausländerbeauftragte Barbara John (CDU) hört so etwas hingegen nur mit Grausen: Wenn Frauen illegal in Bordellen beschäftigt würden – und für sämtliche Nicht-EU-Ausländerinnen ist die Prostitution in Deutschland illegal, weil sie dafür keine Arbeitserlaubnis erhalten –, dann müßten diese Bordelle geschlossen werden.

Anlaß der Kontroverse: die Einsetzung einer Fachkommission „Frauenhandel“, die gestern der Presse vorgestellt wurde. Seit der Öffnung der osteuropäischen Länder habe sich Berlin zusammen mit Sachsen und Sachsen-Anhalt zu einem Schwerpunkt für den Handel mit ausländischen Frauen entwickelt, so die Kommissionsvorsitzende und Frauenstaatssekretärin Helga Korthaase (SPD). Bis zum Mauerfall seien vor allem Frauen aus Thailand hierhergeschleust worden. Dieser Menschenhandel habe sich zahlenmäßig inzwischen eingependelt, während der Handel mit Frauen aus Rußland, Polen und anderen osteuropäischen Ländern bis hin zur Mongolei enorm expandiere. Ziel der neuen Kommission sei es, die Zuhälter und Menschenhändler besser strafrechtlich verfolgen zu können. Berlin müsse einen Erlaß schaffen, der die Abschiebung von ausländischen Prostituierten verhindert, wenn diese sich bereit erklären, als Zeuginnen in Strafverfahren gegen Frauenhändler auszusagen.

Die Projektefrauen unterstützen das Vorhaben zwar, zeigen sich jedoch skeptisch ob des Erfolges. Nach Erfahrung der Sozialarbeiterin Wiltrud Schenk wollen die wenigsten Frauen wirklich aussteigen, obwohl sie unter extrem ausbeuterischen Verhältnissen leben: „Wir wissen von Vereinbarungen zwischen Frauen und ihrem Zuhälter, wo die Frau 10 Mark erhält, wenn sie unter 300 Mark in der Nacht verdient, und 50 Mark, wenn sie über 300 Mark verdient.“ Warum gerade so viele Russinnen und Polinnen nach Berlin kommen und sich das alles gefallen lassen, sei leicht erklärbar: In den Ländern des früheren Realsozialismus habe sich die gesellschaftliche Einstellung gegenüber weiblicher Erwerbstätigkeit radikal gewandelt, eine enorme Zahl hochqualifizierter Frauen finde keinerlei Arbeit mehr. In St. Petersburg zum Beispiel seien 75 Prozent der Arbeitslosen Frauen, von denen 40 Prozent ihre Familie allein ernähren müßten. Da die legale Einreise nach Deutschland aber immer mehr erschwert werde, seien diese Frauen auf Schlepperorganisationen angewiesen, deren Preise sich ständig erhöhten. Ähnliches haben auch die Frauen des Beratungsprojektes „Ban Ying“ beobachtet: „Mit Einführung der Visumspflicht in Thailand ist die Vermittlungsgeführ von 4.000 auf 40.000 Mark gestiegen.“ Die Restriktion der Einreisebestimmungen, so ihr Fazit, steigere nur den Profit der Schlepper und Menschenhändler.