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Zahnarzt. Das heisst: Angstschweiss. Panik. Und auch noch: einsame InvestmentEntscheidungen treffenGold für 20 Jahre

Foto: Ute Mahler/Ostkreuz

Zumutung

von Anja Maier

Gestern Mittag lag der Goldpreis bei 36,35 US-Dollar pro Gramm. Ich glaube, damit bin ich noch ganz gut bedient. Hoffe ich jedenfalls. Erst kürzlich nämlich habe ich meine Unterschrift unter einen Kontrakt mit dem Teufel gesetzt. Der Teufel ist in diesem Fall eine Zahntechnikfirma, die von meiner Zahnärztin beauftragt wird, mir da mal was Freakiges für meinen rechten Eckzahn zu basteln. Ein zwanzig Jahre altes Inlay war herausgefallen, darunter: fiese Karies. Bohren. Altes Inlay also unbrauchbar.

Es kam zu einem Kundengespräch zwischen der Zahnärztin und mir. Ich: von Ängsten geschüttelt wie schon mein ganzes Leben, wenn ich nur den Praxisgeruch schnuppere und das Wasser ins Becherchen plömpeln höre. Sie: sachlich, aber nicht wirklich auskunftsfreudig.

Nein, sagt sie, sie dürfe mir nicht raten, ob Gold oder Keramik die bessere Lösung wäre. Nein, sie könne mir auch nicht sagen, was ein neues Inlay koste, das hänge vom Gold-Tageskurs ab. Es gelte der Preis jenes Tages, an dem der Zahntechniker das Gold verarbeite. Ich müsse also eine Art Blankoauftrag unterschreiben.

Ich (schweißnasse Hände, Puckern im Kopf): „Sie behandeln mich seit zwanzig Jahren und geben mir keinen Rat? Echt jetzt?“ Sie schüttelte freundlich den Kopf und sagte: „Ich komme gleich wieder.“

Zurück blieben die Zahnarzthelferin und ich. Also jene Frau, die mir bei anderen Behandlungen die Hand gehalten hat und beim hochfrequenten Bohren meinen zitternden Kopf in ihre Latexhandschuhhände genommen hatte. Eine sanfter Schraubstock in Menschengestalt. Ich schaute sie fragend an. Und sie sprach: „Ich würde mich immer für das Langlebigere entscheiden.“ Kurzes Innehalten. „Wie lange hat Ihr Inlay gehalten? Zwanzig Jahre? Na!“ Meine Entscheidung stand fest. Ich unterschrieb und hatte das gute Gefühl, eine goldrichtige Entscheidung gefällt zu haben.

Letzte Woche saß ich wieder auf dem Stuhl. Gleißendes Licht, dieser Geruch, das Klappern von Instrumenten auf Glas. Schweißausbruch, Panik pur. Für die Kariesbehandlung, die Kieferabdrücke und das Präparieren des Zahns hatte ich zwei fette Spritzen bekommen, und obwohl klar war, dass ich nichts spüren würde, hatte die Zahnarztschwester den Kopf der Angstpatientin vorsorglich in ihre Latexhandschuhhände gespannt. Lass es vorbeigehen, flehte ich innerlich, als die Ärztin mit einer Art tuckerndem Steinmeißel Richtung Nasenscheidewand vordrang. Bitte! Ich zahle auch für weitere zwanzig Jahre. In Gold!

Offenbar waren die Spritzen doch nicht stark genug dosiert. Denn ich fand noch während des Rappelns in meinem Kopf geistigen Raum, mich einer anderen Frage zuzuwenden. Zwanzig Jahre? Dann bin ich siebzig. SIEBZIG! Werde ich dann überhaupt noch leben, fragte ich mich. Ich hoffe doch. Aber hey, siebzig! Wer sagt mir denn, dass der Inlay-Zahn dann überhaupt noch in meinem Kiefer steckt? (Niemand!, kicherte der Teufel. Und für einen Moment hatte ich das Gefühl, es kichere direkt aus der Zahnarztturbine.)

So also fühlt sich Sterblichkeit an, dachte ich. Ich kletterte vom Stuhl und ging weinen.

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