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Archiv-Artikel

ZWISCHEN VAMPIREN, TEUFELN UND SCHWARZEN ÄBTEN, MEHR ODER WENIGER DEPRESSIVEN UND IM NEUESTEN TANZCLUB FÜR RÜSTIGE ALTE Vom Versuch, die Verhaltensgrenzen zu sprengen

VON JENNY ZYLKA

Um kurz vor 20 Uhr bei Karstadt die letzen Teufelshörner der Saison ergattern: Das nenne ich einen Start ins Wochenende! Zusammen mit dem roten Dreizack, einem Schwanz (mit Leopardenmuster, weil recycelt, aber sieht ja im Dunkeln niemand) und schwarzer Ski-Unterwäsche bin ich ein She-Devil, beziehungsweise Ski-Devil, und am Halloween-Donnerstag im White Trash Fast Food in meiner Teufelhaftigkeit absolut richtig am Platz.

Denn was haben sich die eifrigen Amis und ihre FreundInnen nicht alles ausgedacht, um ihren Lieblingsfeiertag zu ehren: Hinter der Theke, zwischen drei bulligen Skelett-Kollegen, arbeitete ein graziles, männliches Einhorn, den nackten Oberkörper komplett mit Glitter beklebt, eine weiße bis zur Kruppe reichende Mähne auf dem Kopf, vorn ein Horn, hinten ein Schweif, und unten an den Hufen, das sah man, wenn er mit Biertabletts durch den Laden galoppierte, auch noch weiße Fellstulpen – herrlich. „Hast du keine Angst, dass die anderen dich beißen und aussaugen?“, fragte ich beim Sektbestellen und dachte an das silberne Blut, das bei Harry Potter aus dem Einhorn fließt, weil Voldemort es gemeinerweise im Zauberwald meuchelt. Aber White-Trash-Einhörner sprechen nur Englisch.

Macht nichts, man muss nicht immer reden, vor allem, wenn die Garagenmusik stimmt. Irgendwann war jedenfalls absolut jeder Zentimeter des Ladens mit Vampiren, Teufeln, Hexen und schwarzen Äbten voll, sogar ein Lucha-Libre-Maskierter steckte zwischen zwei Totengräbern fest. Es war die Hölle, was mir qua Verkleidung natürlich zu gefallen hatte.

Ein Abend für alle Launen

Freitag ging es weiter zur Flittchenbar-Novemberdepressionsgala mit Jens Friebe und seinen verlorensten Texten, dem scheuen Phil und seiner lockigsten Mozartperücke und Mondo Fumatore und ihren tollsten Liedern, sodass man zuerst wehmütig wurde, dann Tränen lachte und schließlich auch noch begeistert die Hüften schwang. Ein Abend für alle Launen.

Ich bin zwar nicht sicher, ob echte Novemberdeprimierte anwesend waren, denn so viel ich verstanden habe, gehört zu einer Depression eigentlich immer Isolation. Andererseits gibt es neuerdings sogar einen Stand-Up-Comedian, der nichts anderes als Depressionswitze reißt, hat mir ein depressiver Mensch unlängst erzählt. Man scheint also auch in diesem Feld die Verhaltensgrenzen zu sprengen.

Samstagabend war die Duracellhasenbatterie erstaunlicherweise immer noch nicht leer. Darum guckte ich mir einen neuen Tanzclub in Mitte an, der eine Voreröffnung feierte. Es ist doch immer wieder erstaunlich, wie viel wir Alten trinken und wie lange wir unsere gebrechliche Knochen schütteln können, wenn wir unter uns sind. Dem einzigen U40-Gast, einem hübschen Bartträger, warf ich gleich zu Anfang einen warnenden Blick zu. Damit er weiß, wie der Duracellhase läuft, und nicht etwa irgendwelchen anderen jungen Menschen von unserem geheimen Seniorenclub erzählt, damit die dann kommen und alle Aufrisse abkriegen.

Nur Plastikschnapsgläser

Das Schönste war, dass der Boden des Ladens sich gegen Morgen zunehmend mit Plastikschnapsgläsern füllte. Denn die kann man schließlich – im Gegensatz zu Glasstampfern – nach dem Leeren einfach hinter sich werfen wie der Russe und muss sich keine Sorgen um Glassplitterverletzungen beim „Barefootin‘“ machen (wurde sogar aufgelegt! In der Version von Robert Parker!), sondern nur um die fehlende Nachhaltigkeit. Aber die ließ sich an diesem Abend ganz hervorragend und effektiv verdrängen. Am nächsten Tag googelte ich schon wieder, wo die dem Club nächstgelegene gelbe Tonne zu finden ist, und schickte dem Veranstalter eine freundliche Erinnerungs-SMS.