ZWISCHEN DEN RILLEN : Anfang zwanzig sind Affekte noch keine Routine
AlunaGeorge: „Body Music“ (Island Records)
In Großbritannien ist das Understatement zu Hause. Gerade wenn man diesem Klischee mit ein wenig Monarchenbaby-Pomp im Hinterkopf widersprechen möchte, kommen zwei Musiker daher, die es wieder bestätigen. Sie nennen sich AlunaGeorge, genau wie ihre Vornamen. Kennengelernt haben sie sich über MySpace, aufgenommen wird im Heimstudio. Sie steht am Mikrofon, er sitzt am Computer, und gemeinsam bauen sie die Musik ihrer Jugend nach: R&B wie man ihn von Timbaland, Destiny’s Child und den Sugababes kennt. Und nach einigen Gastauftritten in der britischen Bassmusikszene sind sich fast alle einig: 2013 wird das Jahr von AlunaGeorge.
So viel Lob wie „Body Music“ hat lange kein Debüt mehr bekommen: „Album des Sommers“ ist da noch das zurückhaltendste Kompliment. Die NZZ spricht von einem „Jungbrunnen“ für sattsam bekannte Genres, für den Guardian retten AlunaGeorge die britischen Charts im Handumdrehen vor der endgültigen David-Guettafizierung.
Sicher, eine gewisse Nonchalance kann man den beiden nicht absprechen. George Reid programmiert seine Patterns fein säuberlich ohne Hakeln und mit stilbewusstem Ruckeln. Sein Sounddesign ist leichtfüßig, und mit „Attracting Flies“ haben sie sogar einen richtigen Hit geschrieben. Reid hat dafür ein verspieltes, leicht quietschiges Synthesizermotiv programmiert und über einen sanften R&B-Rhythmus gelegt, der auf dem Rihanna-Konzert ebenso zu Hause sein könnte wie in der Indiedisco. Über allem liegt die Stimme von Aluna Francis, bei der man sich nicht sicher ist, ob ihre Begrenztheit lediglich charmant unbekümmert daherkommt oder ob sie sich diese Unbekümmertheit hart antrainiert hat. Vermutlich irgendwas dazwischen.
„Everything you exhale is attracting flies“ singt Aluna Francis im Refrain: „Alles was du ausatmest, zieht Fliegen an“ – fast, als würde der Atem nach Verwesung riechen. Wobei AlunaGeorge den Mund vielleicht ein wenig zu voll nehmen. Denn je länger sich „Body Music“ dahinzieht, desto mehr fragt man sich, ob ihr Debüt nicht weniger ein „Jungbrunnen“ als vielmehr ein Durchexerzieren schon längst verstorbener musikalischer Formen ist.
Als wäre noch immer 1999
„Lost & Found“ zum Beispiel ist ein 2Step-Track aus dem Lehrbuch, dem man lediglich die modernere Technik anmerkt. Irgendwo muss die Rechenpower moderner Computer ja hinfließen. „Body Music“ ist Sekundärmusik, der ihr eigener Status als Sekundärmusik nicht bewusst ist. Wo das Londoner Duo Hype Williams den R&B der 1990er plündert und zu Trackskeletten collagiert, die das Wissen um die eigene Nichtoriginalität offen ausstellen, feiern AlunaGeorge, als wäre 1999 niemals zu Ende gegangen.
Was ja durchaus nachvollziehbar ist. Wer, wenn nicht Musiker Anfang zwanzig, kann routinierte Affekte so durchleben, als wären sie noch niemals zuvor durchlebt worden? Und wer wäre man, AlunaGeorge genau dies auch noch vorzuwerfen? Wobei man sich mit ein bisschen Popgeschichte auf dem iPod aber trotzdem ruhig mal fragen kann, ob der Umzug von R&B aus den Glamfabriken amerikanischer Studios in die Bodenständigkeit britischer Jugendzimmer wirklich ein Grund zum Abfeiern ist oder ob dies nicht doch eher melancholisch stimmt. Denn all den glitzernden, durchproduzierten Oberflächen von R&B lag ja zumindest die Sehnsucht nach einem Ort und einer Zeit zugrunde, in dem man diesem Glam ein wenig näher sein könnte. Andererseits ist eine offen ausgestellte Authentizität vielleicht auch mittlerweile der sicherere Weg dorthin: Frank Ocean und Mumford and Sons machen es vor, AlunaGeorge machen es nach.
Vielleicht sind das aber auch zu viele Gedanken über ein letztlich ganz gelungenes Sommeralbum. Aber man muss sie sich jetzt machen oder für immer schweigen. Denn den nächsten Sommer wird „Body Music“ nicht mehr erleben.
CHRISTIAN WERTHSCHULTE