ZWISCHEN DEN RILLEN : Thrashmetal Ungestüm
Space Chaser: „Watch the Skies“ (This Charming Man/Cargo)
Space Chaser hieß ein Kneipen-Daddelautomat in den ganz frühen Achtzigern. Dort versenkten junge Menschen ihre Markstücke, wenn sie sich einen hauseigenen Atari nebst Space Invaders nicht leisten konnten. Dass sich fünf Berliner Kellerasseln auf diesen Trivialmythos beziehen, hat natürlich etwas zu bedeuten.
Vor drei Jahren haben sie sich unter diesem Namen zusammengefunden, um die Musik wiederzubeleben, die damals der heißeste Scheiß war bei der splisshaarigen, kuttentragenden Jugend aus den Vorstädten: den wilden, quecksilbrigen, drüsengesteuerten Thrash Metal, der erst zuschlug und dann fragte. Thrash war die Antwort der US-Westküste, der Bay Area, auf die sich kommerzialisierende New Wave of British Heavy Metal.
Man könnte auch sagen, ihre konsequente Weiterentwicklung im Sinne des olympischen Prinzips des Genres – „schneller, fieser, lauter“. Als Iron Maiden 1982 mit ihrer Single „Run to the Hills“ sogar im Frühstücksradio gespielt wurden, Metal also plötzlich chartstauglich war, musste was passieren. Die Lyrics wurden fortan mit Eigenblut geschrieben, Taktzahl und Impulsdichte nahmen rasch zu, die melodischen Restbestände dafür noch rascher ab. In den letzten Jahren hat die immer schon die eigene Tradition hegende und pflegende Szene ausgiebige Quellenstudien betrieben bei den Inkunabeln der Knüppelei.
Space Chaser setzen genau hier die Brechstange an. Ihre erste EP „Decapitron“ vom letzten Jahr wurde deshalb sofort bemerkt von den aufmerksamen Marktbeobachtern. Das jetzt erscheinende Debütalbum „Watch the Skies“ sollte ihr kleines Abbruchunternehmen über Wasser halten können.
Die Band bedient die aktuelle Retrofixiertheit des Genres, aber so fröhlich-unverfroren und respektlos auftrumpfend, wie man das eigentlich bisher nur aus Skandinavien, vor allem Schweden, kannte. Space Chaser paaren Geschichtsversessenheit mit einem Ungestüm, das kein Kalkül zu kennen scheint, zerschroten, zerschreddern und zerdullern ihre Songs, als finge man noch einmal bei null an.
Dabei sind ihre Vorbilder jederzeit gut hörbar. Siegfried Rudzynski schraubt sich mit Wucht in eunuchale Höhen, die schon Bruce Dickinson, aber noch um einiges ekstatischer bzw. kränker Bobby Blitz von Overkill ausgemessen hat. Seine Technik, die Vokale langzuziehen, bis sie am Ende leicht an der Dissonanz schrammen, hat er sich entweder von Agent Steels Frontsirene John Cyriis oder Anthrax’ Joey Belladonna abgelauscht, womit denn auch schon drei wesentliche Referenzgrößen genannt wären.
Schon der zwischen irrwitzig schnellen Staccato-Riffs und schunkelnden Mosh-Parts hin und her schaltende Auftakt „Interstellar Overlords“ ist alte Anthrax-Schule. Das komplexere, Schredder-Riffs im Dutzend auffahrende „Loaded to the Top“ präsentiert sich als eklektisches, geradezu überbordendes Sammelsurium aus Anthrax-, Exodus-, frühen Metallica-Songs - und was die alte Thrash-Kiste sonst noch so hergab.
Martin Hochsattel on Lead Guitar zieht regelmäßig Kondensstreifen beim Spielen, weiß aber auch, wann ein paar Harmonie-Rudimente, mit einigem Augenzudrücken könnte man fast von Melodien sprechen, die anschließende Überschallpirouette noch sensationeller erscheinen lassen. Metallicas Kirk Hammett hat er völlig internalisiert, aber nur den überfallartigen, an einen urplötzlich niedergehenden Hagelschauer erinnernden Stil vom Debüt „Kill Em All“.
Der spätere, auch mal auf Schönklang setzende Epiker ist nicht mehr die reine Lehre. Natürlich darf hier ein Instrumental nicht fehlen. Der Signature-Song „Space Chaser“ gehört auch gleich zu den Besten des Albums, weil man hier noch unverstellter die Energieleistung der Band hört und spürt, dank des transparenten, organischen Sounds von Produzentenlegende Harris Johns. FRANK SCHÄFER