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Archiv-Artikel

ZWISCHEN DEN RILLEN Heidnische Soulmusik für den Hirtengott Pan

Cyclobe: „Wounded Galaxies Tap at the Window“ (Phantom Code)

Den beiden Musikern geht es schlicht und einfach darum, das Leben zu verschönern

Bei der Arbeit an neuen Tracks fühlen sie sich wie Pfadfinder, meint Ossian Brown, eine Hälfte des britischen Experimentalduos Cyclobe, das er seit 1999 mit seinem Partner Stephen Thrower und verschiedenen Gastmusikern betreibt. Wohin sie ihre Hörer führen, muss jeder selbst entscheiden. Trotzdem kann und muss man ihr neues Vinylalbum „Wounded Galaxies Tap at the Window“ (erscheint demnächst auch als Download und CD mit Bonusmaterial) mit einem reichlich strapazierten Begriff umschreiben: Es ist ein Türöffner. Je nach Gusto führt es hinauf oder hinab ins Unbewusste, ins Unbekannte und Verdrängte. Auch das ist schon oft über Musik gesagt worden. Hier trifft es.

Brown und Thrower, die in Interviews wie Gelehrte wirken, eröffnen sphärisch-meditativ: „How Acla Disappeared From Earth“, mit gut vier Minuten das kürzeste Stück, klingt getragen mit einem Schuss Unbehagen. Das folgende Herzstück der Platte „The Woods Are Alive With the Smell of His Coming“ ist stolze 17 Minuten lang. Über das stetig wiederholte Motiv eines Daumenklaviers legen sich Schichten und Schichten von Sounds: John Contreras, wie Ossian Brown Beiträger der Psychedeliker Current 93, spielt ein Cello, das nicht immer als solches auszumachen ist. Michael J York steuert Flötentöne bei. Ab der zehnten Minute explodiert das Stück förmlich. Der da kommt, ist niemand anderer als der lüsterne Hirtengott Pan.

Brown bezeichnet die Musik von Cyclobe als Klänge heidnischer Verehrung, als Soul im wahrsten Sinne des Wortes. Hat man die Platte umgedreht, kommt „We’ll Witness The Resurrection of Dead Butterflies (Three Moons)“, das mit Cliff Stapletons Hurdy-Gurdy beinahe an ein Folkinstrumental erinnert. Die Betonung liegt auf „beinahe“: In der zweiten Hälfte wird heftigst elektronisch interveniert. „Sleeper“ schließlich hebt wuchtig-industriell an, später setzt ein filigranes Klavier ein, und es will sich so etwas wie Idylle einstellen. Der Schluss „Wounded Galaxies Tap at the Window“ knüpft an die Stimmung des Anfangs an.

Hang zum Okkulten

Auf dem von Fred Tomaselli gemalten Cover wächst aus dem Schornstein eines Landhauses eine siebenköpfige Schlange, in der Formen und Wesen leben: Cyclobe haben einen gewissen Hang zum Okkulten. Dabei geht es den beiden schwulen Musikern nicht um Mummenschanz, sondern schlicht und einfach darum, das Leben zu verschönern.

Das war auch das Anliegen der Avantgarde-Band Coil, zur Zeit ihres Bestehens eine feste Größe des britischen esoterischen Untergrunds um Nurse With Wound und Currrent 93. Die Verbindungen zu Cyclobe sind fließend. Erwachen bei Brown und Throwers die Wälder zum Leben, so waren es bei Coil die Hügel: „The Hills Are Alive“ war in das Vinyl ihres Debüts „Scatology“ (1984) graviert und wurde später zum Titel eines Songs. Thrower spielte auf „Scatology“, „Horse Rotorvator“ (1986) und „Love’s Secret Domain“ (1991), Brown ist auf den nach 2000 entstandenen Platten zu hören. Regelmäßiger Gast bei Cyclobe ist der Musiker und Produzent Thighpaulsandra. Er kam 1998 zu Coil und blieb bis zum letzten Album „The Ape Of Naples“, das nach dem Tod ihres Sängers John Balance (1962–2004) erschien. Balance, einem getriebenen Visionär und schweren Alkoholiker, ist „Wounded Galaxies Tap at the Window“ gewidmet. Cyclobe danken auf dem Album Throbbing Gristle und Coil-Mitbegründer Peter Christopherson. Wenige Wochen nach der Veröffentlichung ist auch er gestorben. ROBERT MIESSNER