■ "ZIVILER UNIONSVERTRAG" VERURSACHT FRANKREICHS SOZIALISTEN BAUCHGRIMMEN: Sensiblen Punkt getroffen
Sensiblen Punkt getroffen
Paris (taz) — Unbehagen bei den französischen Sozialisten: Wenige Monate vor den Parlamentswahlen sollen sie über moralische Tabus diskutieren, sie gar antasten. Schuld sind drei Genossen, die ihrer Fraktion einen Gesetzentwurf zum „Zivilen Unionsvertrag“ vorgelegt haben. Der Vertrag will „wilden Ehen“ dieselben Rechte verschaffen wie gesetzlich geschlossenen. Schlimmer noch: Der zivile Unionsvertrag soll unabhängig vom Geschlecht, also auch für homosexuelle Paare, gelten. Ähnliche Gesetze gibt es seit drei Jahren in Holland und Dänemark. Die PS-Fraktion muß nun entscheiden, ob sie den Vorschlag ins Parlament einbringen will.
Doch es hagelt bereits Proteste von allen Seiten: Die Sozialisten „haben einmal mehr beschlossen, die moralischen Werte anzugreifen“, ereiferte sich der liberalkonservative Abgeordnete Philippe de Villiers. Ein Kollege spricht abfällig von „Mätzchen“. Natürlich wehren sich auch die Bischöfe. Und selbst sozialistische Politiker beteuern abwehrend: „Wir bereiten keinerlei Gesetzentwurf zu dem Thema vor.“
Die drei PS-Abgeordneten, die ihrer Fraktion den „zivilen Unionsvertrag“ dennoch als Gesetzentwurf vorlegten, haben einen sensiblen Punkt getroffen. Eine Radiostation traf das Problem, als sie vorschnell und verkürzt verkündete: „Das Parlament wird über die Schwulen- Hochzeit abstimmen.“ Es ist vor allem dieses Tabu, das den Sozialisten Magenschmerzen bereitet und die Konservativen auf die Barrikaden bringt. Ein anonymer PS-Mann erklärte gegenüber der Tageszeitung 'Libération‘: „Dahinter stecken einige unabhängige Linke, die ihre Ideen bis aufs Letzte ausfechten wollen. Es ist ein Kampf der Mutigen gegen die Ängstlichen, denn diese Art von Projekten macht Angst.“
Obwohl der zivile Unionsvertrag auch zwei Millionen unverheirateter heterosexueller Paare betrifft, beherrscht die Gleichstellung der Homosexuellen die Debatte. Der Unionsvertrag will allen, die sich zum Zusammenleben entschlossen haben, rechtliche und soziale Sicherheit bieten — dem männlichen Paar ebenso wie zwei Witwen oder Bruder und Schwester, die ihr Leben gemeinsam leben. Auf den Lebenspartner ausgedehnt werden sollen vor allem das Recht auf Rente, die Sozialversicherung, private Zusatzversicherungen oder die Erbrechte. Bislang muß ein unverheirateter Hinterbliebener extrem hohe Steuern für ein Erbe zahlen.
Wie die Ehe schafft auch der Vertrag Pflichten: Die Partner sind füreinander verantwortlich. So sollen sie etwa für die Schulden des anderen geradestehen. Geschlossen wird der Vertrag vor einem Standesbeamten. Bei seiner Aufhebung soll — anders als bei Scheidung — nur dann ein Richter eingeschaltet werden, wenn die Partner nicht im Einverständnis auseinandergehen.
Unterstützt wird das Vorhaben von der Beratungsstelle Planning familial, von den beiden Umweltparteien, von Schwulenbewegungen und von Leuten wie SOS-Racisme- Chef Harlem Désir oder Elisabeth Badinter, Schriftstellerin und Frau des Verfassungsgerichtspräsidenten. „Große Reformen, die wirklichen Mut erfordern und Vorurteile bekämpfen, werden nur zu Beginn einer Regierungsperiode verwirklicht werden“, meint sie. Es ist fraglich, ob die französischen Sozialisten wenige Monate vor den Parlamentswahlen soviel Zivilcourage haben, den Unionsvertrag im Parlament auch nur debattieren zu lassen. Bettina Kaps
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