ZENSURSULA : Die Macht des KlicksDer Shootingstar
EINFLUSS Wer politisch etwas bewegen will, geht nicht mehr auf Latschdemos, sondern startet eine Online-Petition. Was das bringt? Die fünf erfolgreichsten Beispiele und was aus ihnen wurde
Darum ging es: Opposition gegen die Pläne der damaligen Familienministerin, Ursula von der Leyen, geheime Sperrlisten im Internet zu etablieren. Erklärtes Ziel der Ministerin war ab Frühjahr 2009, die Verbreitung von Kinderpornografie im Netz einzudämmen: Das Bundeskriminalamt sollte geheime Listen mit entsprechenden Websites zusammenstellen, wer sie anklickte, sollte vom Provider auf eine Seite mit einem Stoppschild umgeleitet werden. Eine Initiative, die die Netzgemeinde zum Schäumen brachte: Sie forderte, entsprechende Seiten mit kinderpornografischem Material zu löschen, statt sie nur zu sperren. Und argwöhnte, hinter von der Leyens Plänen stehe der Versuch, eine Zensurinfrastruktur für das Netz zu errichten, die später auch für andere Inhalte genutzt werden könne. Der damaligen Familienministerin verpasste sie den Schmähnamen „Zensursula“. Eine Onlinepetition vom 22. April 2009 forderte, das inzwischen „Zugangserschwerungsgesetz“ getaufte Vorhaben abzulehnen.
So viele waren dabei: Mit 134.000 Unterzeichnern ist diese Onlinepetition die bislang erfolgreichste. Die Hebammen-Onlinepetition (s. o.) und eine weitere für eine geringere Besteuerung von Benzin aus dem Jahr 2008 bekamen zwar insgesamt mehr Zuspruch – jedoch auch auf nichtelektronischem Wege.
Wer hat angefangen: Franziska Heine, damals 29 Jahre alt, arbeitete bei einem großen Telekommunikationsanbieter in Berlin, dessen Internetauftritt sie betreute. Schnell wurde sie zu einem der bekanntesten Gesichter der Netzbewegung des Sommers 2009. Vor dem Einreichen der Petition sei sie nicht politisch ambitioniert gewesen, erklärte sie in Interviews.
Das ist draus geworden: „Auf der sachlichen Ebene haben wir verloren. Wir haben das Gesetz nicht verhindert“, konstatierte Heine im vergangenen Sommer. Was sie und viele andere schon damals als Erfolg werteten, war aber, dass das Thema über Netzkreise hinaus diskutiert wurde – und viele, die anfänglich befürworteten, dass endlich etwas gegen Kinderpornos im Netz getan wurde, ins Grübeln kamen.
Pech nur, dass der Anhörungstermin für Heine vor dem Petitionsausschuss, wohl auch wegen der bevorstehenden Bundestagswahl im September, bis ins Jahr 2010 verschleppt wurde. Erst am 22. Februar war sie eingeladen, um darzulegen, was sie gegen das Zugangserschwerungsgesetz einzuwenden hatte. Eine Farce – denn damals war das Gesetz schon vom Parlament beschlossen. Obwohl es nach Wahl und Regierungswechsel niemand mehr wirklich haben mochte. Und Regierungsvertreter beteuerten, dass es nicht angewendet werde. Zumindest nicht in dieser Form. Zu offensichtlich waren die handwerklichen Fehler, zu groß die Gefahr, dass Netzbürgerrechtler mal wieder in Karlsruhe Verfassungsbeschwerde einlegen. Und so gammelt dieses Gesetz bis heute vor sich hin.
Der wohl größte Erfolg von Heines Petition ist, dass die Politik die Netzcommunity seitdem auf dem Zettel hat – und häufiger den Dialog mit Netzaktivisten sucht. MLA
HEBAMMENPROTEST
Die Hartnäckige
Darum geht es: Reich geworden sind Hebammen noch nie. Seit Juli 2010 sollte es sich aber noch weniger lohnen, aktive Geburtshilfe zu leisten – weil die Kosten für ihre Berufshaftpflicht auf fast 3.700 Euro jährlich anschwollen. Das sind 200 Prozent mehr als noch vor drei Jahren. Die Versicherer argumentierten, diese Summe sei das Minimum – schließlich müssten sie für Schmerzensgelder bei Geburtsschäden zahlen. Die Hebammen entgegneten, dass es sich so nicht mehr lohne, ihren Beruf auszuüben. Verhandlungen mit den gesetzlichen Krankenversicherern scheiterten, Politik und Öffentlichkeit bekamen von dem Konflikt nichts mit. Am 5. Mai 2010 reichte der Hebammen-Verband eine Onlinepetition ein. Darin forderte er von der Politik, die hohen Haftpflichtprämien auszugleichen.
So viele waren dabei: Über 105.000 Leute unterstützten die Petition online, mehr als 80.000 Unterschriften gingen per Post ein.
Wer hat angefangen: Martina Klenk, 49 Jahre alt, ist Präsidentin beim Hebammen-Verband Deutschland. Früher arbeitete sie selbst als freiberufliche Hebamme.
Das ist draus geworden: Würde es nur darum gehen, auf ihr Problem aufmerksam zu machen und Sympathien zu gewinnen, wäre die Petition der Hebammen ein voller Erfolg: Eltern solidarisierten sich, Gesundheitsminister Philipp Rösler unterstützte die Forderungen, Klenk wurde schon am 28. Juni vor dem Petitionsausschuss angehört. Im Schiedsverfahren mit den Krankenkassen handelten die Hebammen 100 Euro mehr pro außerklinischer Geburt heraus. Trotzdem sagt Klenk: „Über das Ergebnis bin ich enttäuscht.“ Sie fordert, dass die Politik mehr Verantwortung für die finanziellen Risiken übernimmt, die jetzt die Hebammen tragen. Der Berufsstand erscheint ihr weiter gefährdet: 500 von 4.000 freiberuflichen Hebammen haben sich bereits aus der Geburtshilfe zurückgezogen. „Und das ist noch nicht das Ende der Fahnenstange“, fürchtet sie. Klenk freut sich über die Unterstützung: „Wir geben nicht auf.“ MLA
GEMA-KRITIK
Die Hoffnungsvolle
Darum ging es: „Vom Kulturschützer zum Kulturvernichter“ sei die Musik-Verwertungsgesellschaft Gema geworden, prangerte die Petition an. Vor allem die kleinen Bühnen würden unter hohem bürokratischen und finanziellen Aufwand leiden. Denn sogar Konzerte, wo keine geschützten Songs gespielt werden, müssen der misstrauischen Gema-Bürokratie gemeldet werden. Die Unterzeichner forderten deshalb eine „umfassende Reformierung“, mehr Transparenz, geringere Gebühren für Kleinveranstalter und Änderung der Inkasso-Modalitäten. Um die Abschaffung der Gema geht es dabei aber nicht: „Geistiges Gut ist schützenswert“, heißt es dort.
So viele waren dabei: Online unterzeichneten über 106.500 Personen, mehr als 3.000 gaben ihre Stimme per Post ab.
Wer hat angefangen: Monika Bestle, die Leiterin der „Kulturwerkstatt“ in Sonthofen. Ihr kleiner Live-Club im Allgäu soll auch ein Sprungbrett für junge Künstler sein.
Das ist draus geworden: Im Mai 2010 wurde Monika Bestle vor dem Petitionsausschuss gehört – ziemlich genau ein Jahr nach dem Start ihrer Petition. 26 Bundestagsabgeordnete informierten sich in der öffentlichen Sitzung über das Thema. Bestle freute sich über ein „unglaubliches Interesse der Abgeordneten aller Parteien“. Deshalb glaubt sie, dass sich die Regierung bald des Themas annimmt, auch wenn der Ausschuss nur beratende Funktion hat. Falls nicht, will sie sich nicht entmutigen lassen: „Wir werden dranbleiben. Es wird keine Ruhe geben, ganz sicher nicht.“ SLO
ANTI-KILLERSPIELVERBOT
Die Voreilige
Darum ging es: Nach dem Amoklauf eines Schülers in Winnenden war es mal wieder so weit: Die Innenministerkonferenz einigte sich im Juni 2009 auf ein „schnellstmögliches Herstellungs- und Verbreitungsverbot“ von Action-Computerspielen mit „wirklichkeitsnah dargestellten Tötungshandlungen“. Die Onlinepetition forderte, davon Abstand zu nehmen.
So viele waren dabei: Mehr als 73.000 Menschen unterzeichneten die Onlinepetition.
Wer hat angefangen: Peter Schleußer aus Oberhausen reichte die Petition am 19. August 2009 ein. Der 38-jährige Baumaschinentechniker sagte, er sei mit Computerspielen aufgewachsen, zocke bis heute alles vom Rollenspiel bis zum Ego-Shooter. Habe aber den Kriegsdienst verweigert.
Das ist draus geworden: Bei Schleußers Anhörung vor dem Petitionsausschuss am 17. Mai 2010 sagte Staatssekretär Hermann Kues, sein Familienministerium plane kein Verbot. Ob die Petition die Entscheidung erzwang, ist fraglich. MLA
GENERATION PRAKTIKUM
Die Versandete
Darum ging es: Die „Generation Praktikum“ war im Sommer 2006 in aller Munde. Um die drohende Prekarisierung zu stoppen, wurde gefordert, Praktika auf drei Monate zu begrenzen, eine Vergütung von mindestens 300 Euro pro Monat zu garantieren – und Volontären einen Stundenlohn von 7,50 Euro.
So viele waren dabei: Über 60.000 votierten online für die Petition.
Wer hat angefangen: Die DGB-Jugend und Fairwork, ein Verein für Praktikantenrechte. Einige Monate zuvor scheiterte die Berlinerin Désirée Grebel mit einer ähnlichen Onlinepetition knapp an der 50.000-Grenze.
Das ist draus geworden: Es blieb, vom enormen Pressewirbel abgesehen, bei einer Anhörung vor dem Petitionsausschuss. Von den Kernforderungen ist vier Jahre nach der Petition nicht mehr viel zu hören. In ein Gesetz sind sie nicht eingeflossen. SLO