ZEITZEUGNISSE : Teller, Fotos
Es ist wie ein Phantomschmerz. Jedes Mal, wenn ich aus dem Küchenbuffet einen Suppenteller nehmen will, wird mir schmerzlich bewusst, dass etwas fehlt. Seit Anfang des Jahres sind meine sechs Lieblings-Suppenteller nicht mehr da. Ich hatte sie auf der ersten Frankreichreise meines Lebens in einem Antiquitätengeschäft gekauft, nachdem ich meinen bescheidenen DDR-Hausstand auf dem Müllhaufen der Geschichte entsorgt hatte.
Die Teller sind nicht wirklich weg, sie sind an einem anderen Ort. Und zwar im Deutschen Historischen Museum. Vor einigen Monaten hatte ich eine Berliner Szene geschrieben, in der diese Teller vorkamen. Die Kuratorin der Ausstellung „Alltag Einheit. Portrait einer Übergangsgesellschaft“, die im Mai eröffnet wird, las den Text und fragte, ob sie die Teller zeigen könnte und ob ich für ein Videointerview zur Verfügung stehen würde.
Ich sagte zu, auch wenn mir die blau-gelben Steingutteller als Zeugen der Geschichte etwas popelig erschienen. Also trug ich das Geschirr ins Museum und auch das Videointerview lief gut. Das Erzählen über die Monate unmittelbar nach dem Fall der Mauer half meinem Gedächtnis derart auf die Sprünge, dass ich der Kuratorin danach viel bessere Zeitzeugnisse anbot: Dutzende Dia-Negative aus dem Jahr 1990, die ein Fotograf am Ku’damm für nicht wenig Geld von mir gemacht hatte, zu einer Zeit, als ich wirklich glaubte, dass nun alles möglich sei, ich also auch Fotomodell werden könnte.
Jahrelang hatte ich die Aufnahmen nicht mehr in der Hand. Als ich mich in dem romantischen Kleid mit Strohhut sah, in der Matrosenbluse, die meine Schwester genäht hatte, oder in den quietschbunten Sportklamotten, spürte ich die Nachwende-Euphorie noch einmal ganz deutlich. Seitdem bin ich gerührt, dass ich 25 Jahre später doch noch Fotomodell werde, wenn auch nur im Museum der Geschichte. BARBARA BOLLWAHN