Ypsilanti beim Sonderparteitag der SPD: Die Trotzige
Die hessische SPD redet auf einem Sonderparteitag das waghalsige Linkspartei-Manöver von Andrea Ypsilanti schön.
HANAU taz Vielleicht könnte Hessen in den kommenden Jahren ohne Andrea Ypsilanti einigermaßen über die Runden kommen, aber sicher ist das nicht. Dieser Eindruck jedenfalls kann entstehen, wenn man der Spitzenfrau der hessischen SPD zuhört. "Den Aufbruch in die soziale Moderne gibt es nur mit uns", beschwört die 50-jährige Ypsilanti auf dem Landesparteitag ihre Genossen. Ihn umzusetzen sei sie dem Land schuldig: "Ich", ruft sie mit einer Stimme, die im Gegensatz zu ihrer politischen Bilanz steht, "wollte nicht die Hoffnungen so vieler Menschen aufs Spiel setzen."
Fast könnte man da vergessen, dass es auch Ypsilanti war, die den Landtagswahlerfolg der SPD vom Januar in eine politische Schlappe verwandelt hat. Herausfordernd blickt sie nun in den Saal mit den gut 300 Delegierten: "Eine rot-grüne Minderheitsregierung hätte dieses Land vorangebracht", beteuert sie. Weshalb "zu gegebener Zeit" eine Neuauflage des erst vor drei Wochen unter blamablen Umständen gescheiterten Projekts vorstellbar sei. Eine Neuauflage? Trotz der überaus knappen Mehrheitsverhältnisse? "Wir werden uns nicht von unserer Politik abbringen lassen, und ich schon gar nicht."
Parteichef Kurt Beck hat kein Recht mehr, die SPD zu führen - so denkt jedenfalls die Mehrheit der Sozialdemokraten, wenn man einer Umfrage von Emnid für Bild glauben darf:
54 Prozent der Sozis sind demnach für einen neuen Vorsitzenden, nur 42 Prozent wollen ihn behalten. In der Bevölkerung befürworten 65 Prozent einen anderen SPD-Vorsitzenden, nur 23 Prozent setzen weiter auf Beck. In der Kanzlerkandidatenfrage fiel Beck hinter Finanzminister Peer Steinbrück zurück. Bei einer Umfrage für den Spiegel hielten nur 16 Prozent Beck für geeignet, 2009 gegen Bundeskanzlerin Merkel anzutreten. Außenminister Frank-Walter Steinmeier wurde von 30 Prozent, Steinbrück von 19 Prozent genannt.
Die Delegierten feiern sie und ihre neuerliche Kamikazebotschaft wie eine Heilsbringerin. Eigentlich sind sie gekommen, um über den künftigen Kurs ihrer angeschlagenen Partei zu debattieren. Erst wurde Anfang März ein zentrales Wahlversprechen gebrochen - keine Tolerierung einer Regierung Ypsilanti durch die Linkspartei -, dann musste das Vorhaben nur drei Tage später wieder abgeblasen werden, wegen Widerstands aus den eigenen Reihen. Weil die sozialdemokratischen Wahlgewinner auch seither nicht in der Lage gewesen sind, eine stabile Regierung zu bilden, wird ab nächster Woche der CDU-Ministerpräsident Roland Koch trotz 12 Prozentpunkten Verlusts geschäftsführend weiterregieren. Zunächst. Denn Andrea Ypsilanti will sich damit nicht abfinden.
Vorübergehend aber gelte es, SPD-Politik aus dem Parlament heraus durchzusetzen mit wechselnden Mehrheiten, ausdrücklich auch unter Zuhilfenahme der Stimmen der Linkspartei: "Da darf dann jeder mitmachen", sagt die Parteichefin, so als hänge Stimmverhalten von ihrer Gnade ab.
Das bloße Offenhalten der Option einer großen Koalition dagegen lässt sie kategorisch per Parteitagsbeschluss verbieten. Dabei gilt diese Konstellation derzeit als eine der letzten Türen, die der SPD in Hessen noch offen stehen, will sie nicht dauerhaft vom Regierungsgeschäft ausgeschlossen bleiben. Na und? Eher wäre sie bereit, Neuwahlen in Kauf zu nehmen: "Ich habe keine Angst, mit dieser großartigen SPD noch einmal anzutreten." Sie wird nicht rot dabei.
Einwände der Parteirechten um Ypsilantis innerparteilichen Erzrivalen Jürgen Walter, man dürfe, um handlungsfähig zu bleiben, "gar keine Koalition mehr ausschließen", werden unter Buhrufen und Pfiffen abgetan. Kochs CDU, ruft einer, sei eine "totalitäre Kaderpartei". Die Debatte über die Bündnisfähigkeit gerät so zur Abrechnung mit Walter. Dem unterstellen viele, er arbeite seit Wochen mit gezielten Indiskretionen an die Presse an Ypsilantis Demontage.
Es ist eine bemerkenswerte Vorstellung, die Andrea Ypsilanti und ihre Partei in Hanau der Öffentlichkeit bieten. Der kleinlaut-defensive Ton, in dem die SPD-Spitzenfrau noch Anfang März das Scheitern ihres Plans bekannt gab, am 5. April hessische Ministerpräsidentin zu werden, ist einer Mischung aus trotzigem Stolz und eigenwilliger Selbstwahrnehmung gewichen. "Die SPD in Hessen will sich nicht vorschreiben lassen, wie und mit wem sie regiert", bescheidet sie spitz ihre innerparteilichen Kritiker, "die Clements und die Analysten, die ich nie in Hessen gesehen habe". Die Verletzung, als Kandidatin nicht für voll genommen worden zu sein, sitzt tief. "Wir", sagt Ypsilanti, "lassen uns von anderen nicht den Spiegel vorhalten."
Wer nun mit einer Debatte rechnete, der erlebt, wie immun die hessische SPD gegen Kritik ist. Kaum ein offenes Wort über den beschämenden Umgang mit der Landtagsabgeordneten Dagmar Metzger. Wegen ihrer Gewissensentscheidung, eine Regierungstolerierung durch die Linkspartei nicht mitzutragen, hatten Metzgers SPD-Freunde ihr die Mandatsniederlegung nahegelegt. Eine Aussprache findet nicht statt. Vielmehr stärken die Delegierten ihrer Parteivorsitzenden den Rücken; von "Medienhysterie" ist die Rede, davon, "dass sich zum Kronzeugen des politischen Gegners macht", wer öffentlich über die Qualitäten der Parteiführung nachdenke, wie Generalsekretär Norbert Schmitt formuliert. Am eindrucksvollsten macht der alternative Nobelpreisträger Hermann Scheer vor, wie man aus eigenen Fehlern eine Verschwörungstheorie bastelt: "Hier wird gezielt aus politischen Gründen die Zusammenarbeit mit der Linkspartei tabuisiert, um die SPD im Ghetto der großen Koalition zu halten", brüllt Scheer, der unter Ypsilanti Superminister werden sollte.
Scheer ist nicht der Einzige, der ofenbar vergessen hat, dass es Ypsilanti war, die mit der ständigen Wiederholung ihres "Nicht mit der Linkspartei" für ebendiese Tabuisierung gesorgt hat. "Ich werde jetzt oft gefragt: Ist das der Parteitag zum Wundenlecken?", sagt Gernot Grumbach, Vorsitzende des SPD-Bezirks Hessen-Süd, und guckt empört: "Ich verstehe die Welt nicht mehr! Wir sind die Partei, die sich dem Auftrag zum Politikwechsel stellt." In Hanau glauben sie das wirklich.
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