Yelizaveta Landenberger Eastsplaining: Brighton Beach Calling
Aus dem Trubel der überwältigenden Hochhäuserlandschaften Manhattans bringt der Metrozug der Linie B mich und meine Kolleginnen an den Strand von Brooklyn, an den sagenumwobenen Brighton Beach. Nach unserer Slawistik-Tagung zum Thema „Slavic Cultures out of Place“ in Princeton möchten wir in New York City noch etwas Feldforschung zum Thema betreiben.
Die meisten Menschen, die entlang der Strandpromenade spazieren oder sich auf den unzähligen Bänken sonnen, sprechen Russisch – betagte Frauen, deren Frisuren und strassbesetzte, wild gemusterte Kleidung aussehen wie aus der Zeit, als die Sowjetunion zerfiel. Die Mehrzahl ist in der Tat damals hierher migriert, als die strikten Ausreisebestimmungen erst gelockert und dann ganz aufgehoben wurden.
Im Restaurant mit Strandblick namens „Tatiana“ bestellen wir beim Kellner, natürlich in der hiesigen Verkehrssprache Russisch, Wareniki mit Kirschfüllung. Am Nachbartisch sitzt ein Herr mit leerem Blick und großem Bierglas, der mich stark an Jelzin erinnert, weiter hinten ein etwas lebendiger wirkendes Grüppchen Männer im Rentenalter. Auf ihrem Tisch stehen zwei mit transparenter Flüssigkeit gefüllte Glaskaraffen. Der Dresscode: ausgebeulter Jogginganzug und Sonnenbrille.
Ich muss unweigerlich an den russischen Gangsterfilm „Brat 2“, „Bruder 2“, von Alexei Balabanow denken. In diesem Kultstreifen aus dem Jahr 2000 reist der Protagonist Danila, ein junger Veteran des Tschetschenienkriegs, aus Russland in die USA, um den Mord eines Bekannten zu rächen. Nach der Landung im Big Apple begibt sich Danila zunächst nach Brighton Beach – bei den vielen kyrillischen Ladenschildern scheint es fast so, als hätte er Russland nie verlassen.
Danila besorgt sich eine alte Karre, um damit nach Chicago zu fahren, aber unterwegs macht der Motor schlapp. Der Deal mit dem Autohändler in Brighton Beach war ein Reinfall. Die in die USA ausgewanderten Russen sind schon kontaminiert mit westlicher, kapitalistischer Gier, so die Implikation, und halten nicht mehr zu ihren russischen Brüdern. Schließlich doch in Chicago angekommen, legt sich Danila mit der ukrainischen Mafia an, bevor er in seine geliebte Heimat zurückkehrt. „Brat 2“ ist stark nationalistisch, antiamerikanisch und vor allem antiukrainisch gefärbt. Ukrainer werden als rohe, kriminelle Bandera-Verehrer porträtiert. Es überrascht nicht, dass der Film in Russland nach Beginn der Großinvasion wieder Konjunktur hatte.
Doch zurück ins reale Brighton Beach von heute. Je weiter sich bei „Tatiana“ die Wodka-Karaffen am hinteren Tisch leeren, desto mehr Gesprächsfetzen dringen bis zu uns vor – ich höre „Gefängnis“, und „damals in Chişinău“.
Yelizaveta Landenberger schreibt über Kultur aus Ost- und Mitteleuropa.
Nicht nur ehemalige Bewohner der moldauischen Hauptstadt, sondern auch die vieler anderer Orte der früheren UdSSR leben in Brighton Beach. Die ersten Migrant:innen in den siebziger Jahren waren vorwiegend Jüdinnen und Juden, viele von ihnen kamen aus der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik. Sie wurden auf internationalen Druck hin schon früher aus dem realexistierenden Sozialismus entlassen und prägen die Gegend bis heute – daher ihr Beiname „Little Odessa“.
In „Tashkent“, im nach der usbekischen Hauptstadt benannten Supermarkt, tummeln sich die Massen. Wir ergötzen uns an den frisch zubereiteten Köstlichkeiten der (post)sowjetischen Fusion Cuisine, die hier feilgeboten werden – eingelegte Gurken und Fische, Bonbons wie aus der Kindheit, diverse Mayonnaise-Salate, Auberginenrollen „armenischer Art“, zentralasiatisches Beschbarmak, um nur einige wenige zu nennen. Zwischen den Delikatessen erhärtet sich die Erkenntnis: Brighton Beach ist überhaupt nicht russisch, sondern multikulti-postsowjetisch.
Zugleich hat hier der überwiegende Großteil der Wahlberechtigten, also Alteingesessenen, Trump gewählt. Das versetzt einige Neuankömmlinge in eine prekäre Lage. So auch offenbar einen jungen Mann unweit von „Tashkent“, der ein Kartonschild mit der russischen Aufschrift „Suche Frau“ vor sich hält. Er stellt sich vor als Lkw-Fahrer, der Russland nach der Annexion der Krym verlassen hat – eine Frau mit amerikanischem Pass müsse es unbedingt sein. Damit können wir nicht dienen, wünschen ihm viel Erfolg, und flanieren weiter durch Little Odessa.
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