YOANI SÁNCHEZ POLITIK VON UNTEN : Castros Häuserdomino
Revolution auf Kuba: Die Regierung erlaubt erstmals den privaten Kauf und Verkauf von Häusern und Wohnungen
María del Carmen schrieb die Worte „Zu verkaufen“ auf ein Stück Pappe und hängte es an den verwitterten Balkon ihres Hauses in Havanna. Noch vor ein paar Wochen hätten ihre Nachbarn sie für verrückt gehalten, und auch die Polizei wäre wohl auf einen Besuch vorbeigekommen. Aber das kürzlich erlassene Dekret Nr. 288 über den Kauf und Verkauf von Wohnraum hat aus einer wagemutigen Handlung etwas ganz Normales gemacht.
Jahrzehntelang haben der Wohnungsmangel und das Verbot des Wohnungsverkaufs auf Kuba familiäre Konflikte verschärft, Ehen gesprengt, die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche in die Höhe getrieben und das eigene Dach über dem Kopf zum größten Traum von Millionen Kubanern gemacht, übertroffen vielleicht nur durch den von einer Aufenthaltserlaubnis in einem anderen Land. Die Mutigsten, die sich mit dem Träumen nicht zufriedengeben wollten, tarnten Verkäufe als Tausch und mussten auf der Hut sein, um nicht aufzufliegen. Dekret Nr. 288 ist die zweifellos gewagteste Reform von Raúl Castro.
Nun macht sich ein Gefühl von Hoffnung breit. Es gibt auch viele, die eine Flexibilisierung des Wohnungsmarkts ersehnten, damit sie ihr Wohneigentum zu Geld machen und das Land verlassen können. Insofern könnte die Maßnahme den Exodus der Mittelschicht beschleunigen. Das Haus, das Anker war, wird zum Flügel; die Säulen, die fest im Boden verankert waren, verwandeln sich in Katapulte.
Doch das Dekret Nr. 288 gilt nicht uneingeschränkt. Um zu verhindern, dass die neuen Reichen, die selbstständigen Kleinunternehmer oder die Angehörigen wohlhabender Exilierter in die Enklaven eindringen, die bislang der Nomenklatura vorbehalten waren, stellt das Amtsblatt klar, dass der Erwerb von Wohneigentum in diesen Zonen einer „zusätzlichen Genehmigung“ bedarf.
Auf jeden Fall wird die Regierung keinen Kaufvertrag ungeprüft lassen. Das Geld, das bei den Geschäften fließen soll, muss zuerst auf einem Bankkonto deponiert werden, bis die Behörden geprüft haben, ob es auf legalem Wege erworben wurde. Zu beweisen, dass jeder Centavo auf sauberem Wege erlangt worden ist, dürfte nicht leicht sein für die Bürger eines Landes, in dem Gesetzesbrüche zur täglichen Überlebenstaktik gehören. Natürlich werden die Behörden je nach ideologischem Standpunkt des potenziellen Käufers mehr oder weniger genau hinschauen. Keine Frage, dass am Ende das Kapital der Zuverlässigen den Vorzug vor dem der Unbequemen erhalten wird. Aber auch so wird sich nicht verhindern lassen, dass dieser marktwirtschaftliche Schub für unsere Insel ein Dominospiel bedeutet, eines mit vielen autonomen, ungeordneten Steinen, die die Regierenden so fürchten.
■ Die Autorin lebt als unabhängige Bloggerin in Havanna Foto: dpa