■ Wolfgang Thierse, SPD-Vize, über die PDS, Lafontaine und dessen bevorstehendes Treffen mit Gregor Gysi: Ostkur für Oskar?
taz: Braucht Oskar Lafontaine eine „Ostkur“?
Thierse: Das ist eine Übertreibung. Denn die Ostdeutschen wissen: er hat die Wahrheit über die Kosten und Folgen der Einheit gesagt, nicht Helmut Kohl, der das Blaue vom Himmel versprochen hat. Lafontaine hat die Einheit nicht abgelehnt, sondern kritische Voraussagen getroffen, die eingetreten sind. Die Regierung versucht jetzt, alte Vorurteile gegen Lafontaine zu mobilisieren. Er habe die Einheit abgelehnt. Von wegen. Er war skeptischer und kritischer und hatte Recht.
Die Vorurteile wird Lafontaine vor Ort abbauen, deshalb führt seine erste Reise als SPD-Vorsitzender jetzt auch nach Sachsen. Dabei geht es nicht darum, alte Schlachten zu schlagen, sondern darum, die Konsequenzen aus dem falschen Einigungsprozeß zu ziehen. Wie da wären: Entindustrialisierung, dramatische Arbeitslosigkeit und tiefe soziale und psychische Verunsicherung zu bekämpfen.
Hat er noch Nachholbedarf?
Sie werden einem Menschen nicht ernsthaft vorwerfen, daß er näher an Frankreich großgeworden ist als ich. Wir haben beide nur miteinander zu lernen, die Probleme, Ängste, Interessen der anderen zu berücksichtigen und wahrzunehmen. Er hat das gelernt.
Ein großes Problem der SPD im Osten scheint aber zu sein: die PDS gräbt ihr das Wasser ab.
Deshalb rate ich ja meiner Partei schon seit längerem: Wir müssen gelassen, demokratisch und fair mit der PDS umgehen. Wir müssen deren Wähler ernst nehmen und deren Gewählte respektieren. Wir müssen uns mit der PDS politisch auseinandersetzen. Das geht nicht ohne Berührung und Kommunikation. Wir dürfen ihr dabei nicht mehr die thematischen und emotionalen Spielräume überlassen, die sie so beliebig hat nutzen können: Wer ist der wirkliche, realistische und mehrheitsfähige Vertreter ostdeutscher Interessen? Das müssen wir unter Beweis stellen. Denn das kann auf Dauer keine ostdeutsche Regionalpartei, sondern nur eine gesamtdeutsche Partei. Ich verlange also von meiner Partei: Sie muß auch eine Partei des ostdeutschen Selbstbewußtseins sein.
Kein leichtes Spiel ...
Wir müssen der PDS auch den Monopolanspruch streitig machen, links zu sein, die SPD muß kenntlicher sein als linke Volkspartei, der es ernst mit Reformen ist und die das breit vorhandene Bedürfnis im Osten nach Opposition und Veränderung aufnimmt. Da hat die PDS zu leichtes Spiel. Und natürlich steht Oskar Lafontaine für die Schärfung dieses Profils der SPD als linke Volkspartei. Unser Führungsduo hat da eine wirkliche Chance.
Sind Sie noch glücklich über das geplante Treffen mit Gysi?
Gysi hat mehrfach um ein solches Gespräch nachgesucht. Es war richtig, es nicht abzulehnen. Denn wir dürfen uns von den durch und durch heuchlerischen, ja verlogenen Attacken der CDU nicht in die Ecke des Tabuisierens manövrieren lassen, denn diese Ausgrenzung führt nur zur Solidarisierung in Ostdeutschland mit der PDS und hilft ihr, ihre innere Widersprüchlichkeit zu überdecken. Kommunikation mit der PDS heißt schließlich nicht Verbrüderung. Wir werden demokratisch mit ihr streiten und manches bloßstellen, zu verhandeln aber gibt es da nichts.
Was wollen Sie von der PDS?
Wir wollen eigentlich nichts von ihr. Wir wünschen von der PDS, daß sie endlich und aufrichtig sich ihrer Vergangenheit stellt und nicht nur darüber ein wenig nett plaudert und gelegentlich mal von einzelnen ein Schuldbekenntnis abliefert. Sie muß auch Konsequenzen daraus ziehen – das gilt für Personen, für das Programm und den Stil der eigenen Politik. Zweitens werden wir ihr Fragen nach der Realisierbarkeit und Finanzierbarkeit ihrer Versprechungen nicht ersparen dürfen. Drittens geht es auch um die Form der Auseinandersetzung der PDS mit der SPD. Ihr taktisches Zusammenspiel mit der CDU gegen die SPD wie bei den Wahlen in Berlin nehmen wir nicht länger hin.
Ist denkbar für Sie, auch Gespräche über künftiges Zusammenarbeiten mit der PDS zu führen?
Die Voraussetzungen für Gespräche über Duldungen, Tolerierungen oder gar Koalitionen sehe ich gegenwärtig nicht. Aus mehrenen elementaren Gründen. Erstens definiert sich die PDS doch selbst als gesellschaftliche Oppositionspartei. Zweitens: Ohne sich so wie eben verlangt zu verändern, lohnt es sich nicht, mit einer Partei solche Gespräche zu führen. Da stimme ich Gregor Gysi ausdrücklich zu: Die PDS ist nicht koalitionsfähig.
Und in Mecklenburg?
Das ist mein drittens: Die SPD darf sich nicht definieren aus ihrem Verhältnis zu anderen Parteien. Auch in großen Koalitionen müssen wir konfliktfähig sein und mehr Selbstbewußtsein entwickeln, um auch als kleinerer Partner nach Wahlen nach außen zu dringen. Kein taktisches Spielchen durch mögliche Koalitionen mit einem anderen Partner darf das ersetzen. Im Gegenteil, jeder Koalitionswechsel setzt voraus: die inhaltlich begründete Bereitschaft zu einem Konflikt, der vor den Wählern glaubhaft ist. Wenn man nur Koalitionsspielchen anstellt, dann nützt man am Schluß einer anderen Partei, nämlich der PDS, und nicht sich selber.
In Mecklenburg raten Sie also von einer PDS-Ehe ab?
Ich bin da altmodisch, ich gebe meinen Parteifreunden nicht öffentlich Rat, sondern direkt. Außerdem wuchern da viel zu viele Spekulationen.
Macht Lafontaine Gysi nicht hoffähig, wenn er ihn jetzt trifft?
Da werten Journalisten und Unionspolitiker ein Treffen sehr bewußt auf, das unter demokratisch gewählten Parteivertretern selbstverständlich sein sollte. Es abzusagen – das würde die Bedeutung erst überhöhen.
Ist die Ost-SPD denn damit in Gänze einverstanden?
Nein, natürlich diskutieren wir das. Denn es ist kein akademisches, abstraktes Thema, sondern es verbinden sich unendlich viele bittere Lebenserfahrungen mit dem Thema PDS. Das kann Herr Gysi nicht einfach beiseite schieben und sagen, das ist ideologische Borniertheit. Wer so redet, beweist sich als vergangenheitsblind oder absichtsvoll vergessend. Zudem erzeugt die zahlenmäßige, organisatorische Überlegenheit und eine alt-neue Cleverness bei manchen Ost-Sozialdemokraten Angst. Trotzdem: Wir müssen selbstbewußt mit der PDS umgehen. Aber nicht intolerant. Schließlich sind wir auch nicht auf den Kopf gefallen. Interview: Holger Kulick
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