Wolf-Dieter Vogel Latin Affairs: Wenn Starbucks zur Zielscheibe wird
Natürlich traf es mal wieder Starbucks. Irgendwas mit Genozid sprühten Demonstrant*innen Anfang Juni in Mexiko-Stadt auf die Scheiben einer Filiale der Kaffee-Shop-Kette, bevor sie den Laden dann entglasten. Was ja an sich schon nicht so zielführend ist. Egal. Seit jemand mal in die Welt gesetzt hat, Starbucks habe etwas, was auch immer, mit Israel zu tun, ist der Konzern zum beliebten Angriffsziel vermeintlicher Verteidiger*innen der palästinensischen Sache geworden. Dass das Quatsch ist, lässt sich einfach nachlesen, etwa auf der regierungskritischen israelischen Plattform Ha’aretz. Nun ja, aber Juden spielen in der Firmengeschichte eine wichtige Rolle. Reicht ja, oder? Vielleicht handelt es sich aber auch nur um infantile Dummheit. Hoffentlich.
Aber eigentlich war die „Israel-Kritik“ sowieso nur das übliche linksradikale Beiwerk einer Demonstration, die sich gegen die Gentrifizierung richtete – ein Thema, das in der mexikanischen Hauptstadt so wichtig ist wie in Berlin und anderen Metropolen. In angesagten Stadtteilen wie Roma oder La Condesa sind die Mieten um ein Mehrfaches gestiegen und für viele Alteingesessene nicht mehr bezahlbar, Ferienwohnungen jagen die Preise in die Höhe, teure Restaurants vertreiben Taco-Buden, lokale Händler müssen schicken Boutiquen weichen.
Leider bewegten sich aber einige der Aktivist*innen in ihrer Gentrifizierungskritik auf demselben Niveau wie in Sachen Starbucks. Sie zerstörten die Scheiben von Restaurants, während drinnen Menschen arbeiteten oder aßen. Und sie plünderten Läden, die ihren revolutionären Kriterien zufolge nicht in die Viertel gehören. „Gringos raus“ oder „Scheiß-Gringo-Arschlöcher“ hieß es auf Pappschildern. In den Stadtteilen, so die Forderung, sollten heimische Dialekte und keine ausländische Sprache gesprochen werden.
Also auf jeden Fall sind Fremde schuld, genau genommen natürlich US-Amerikaner*innen. Dass in dem komplexen Geflecht, das Gentrifizierung ausmacht, auch Menschen eine Rolle spielen, die aus ungerechten Gründen mehr Geld haben als andere, ist natürlich richtig. Dazu zählen Amis ebenso wie Deutsche, Italiener*innen, Argentinier*innen oder wohlhabende Mexikaner*innen. Wie in Berlin-Neukölln oder dem Hamburger Schanzenviertel. Viele internationale digitale Nomaden, die für eine Wohnung mehr zahlen können als Einheimische, sind nach Mexiko-Stadt gezogen. Das hat übrigens die damalige Hauptstadt-Bürgermeisterin und heutige mexikanische Präsidentin Claudia Sheinbaum gefördert: 2022 freute sie sich noch über das große Interesse des Ferienwohnungsportals Airbnb und lud „alle fernen Arbeiter in der Welt ein, nach Mexiko-Stadt zu kommen, diese Stadt, die alles hat“.
Jetzt sieht das anders aus. Sheinbaums linke Morena-Partei fördert Initiativen gegen Mietpreissteigerung, ein Touristengesetz limitiert, wenn auch zu wenig, die Geschäfte von Airbnb und Co. Die heutige Bürgermeisterin Clara Brugada, ebenfalls Morena, betont, man wolle mit günstigen Krediten bezahlbaren Wohnraum für Familien schaffen. Tatsächlich ist neben Spekulation und Korruption auch eine verfehlte Baupolitik für die Misere verantwortlich.
„Wir wissen, das Gentrifizierung Menschen ausschließen kann, die ihr ganzes Leben in ihren Vierteln verbracht haben“, sagte Brugada. Zugleich stellte sie nach der Demo klar: „Wir weisen kategorisch jeden fremdenfeindlichen Ausdruck gegen Migranten zurück, egal woher sie stammen, wie ihr Aufenthaltsstatus aussieht und warum sie in die Stadt gekommen sind.“ Auch Sheinbaum forderte: „Nein zur Diskriminierung, nein zum Rassismus, nein zum Klassismus, nein zur Fremdenfeindlichkeit, nein zum Machismus.“
Beruhigend, dass bei den regierenden Frauen in Mexiko die Vernunft dominiert. Denn wer glaubt, dem Problem mit nationalistischen und antiamerikanischen Ressentiments begegnen zu können, hat die kapitalistische Dynamik der Gentrifizierung nicht begriffen. Oder ganz anderes im Sinn. So wie die, die angeblich mit Steinen auf Starbucks-Scheiben gegen das Leiden in Gaza kämpfen wollen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen