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Archiv-Artikel

■ Wolf Biermann wird zu Recht Ehrenbürger Berlins, kommentierte die taz. Meinungen dazu Schrille Töne à la 1914

betr.: „Einer Krawallschachtel würdig“ von Stefan Reinecke, taz vom 18. 1. 07

Was Biermann und seine Entwicklung in den letzten Jahren anbelangt, so ist dazu in der Presse der letzten Tage durchaus viel Richtiges gesagt worden. Seine Äußerungen zum Berliner Senat nach Diepgen, seine verheerenden Aussagen zum Irakkrieg und seine Herabsetzungen konservativ-gaullistischer Kriegsgegner wie Scholl-Latour erinnern vielfältig an die schrillen Töne, mit denen deutsche Intellektuelle im Sommer 1914 den Esten Weltkrieg begrüßten.

Die neue Debatte um Biermann hätte Anlass sein können, über die heutige Rolle bestimmter DDR-Dissidenten genauer nachzudenken. Ich erwähne hier nur den Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung, Herrn Nooke (CDU), der es dieser Tage fertigbrachte, das US-Lager in Guantánamo zu entschuldigen. Ich frage mich, wie können Nooke und Biermann von Ex-SED-Leuten eine Verurteilung des sowjetischen Einmarsches in die ČSSR 1968 und die diesem zugrundeliegende „Breschnew-Doktrin“ (begrenzte Souveränität angeblich befreundeter Staaten) verlangen, wenn sie heutzutage Präventivkriege der USA lautstark rechtfertigen?

Speziell in Berlin wäre die neueste Biermann-Debatte ein Anlass gewesen, über bestimmte Ex-Linksradikale der FU zu reden, die heute im „Forschungsverbund“ mit der CDU Zehlendorfs für jene geschichtspolitischen Medienkampagnen stehen, die die Klärung historischer Fragen der SED-Herrschaft eher behindern als befördern.

Ich kann verstehen, wenn Herr Wowereit sich darüber sorgt, dass die Ehrenbürgerschaft Berlins zum Spielball obskurer FU-Kreise wird, zu denen damals auch die früheren APO-Aktivisten und heutigen NPD-Chefideologen Mahler und Rabehl zählten. Mit dem geschichtspolitischen Umfeld der Berliner CDU und hier vor allem mit dem „Forschungsverbund SED-Staat“ sollte sich die taz einmal gründlich beschäftigen. THOMAS HOFMANN, Lauterbach