piwik no script img

■ Wohnen im StadtzwischenraumDie Revitalisierung einer abgehängten Industriefläche: Das Experiment "Wasserstadt Spandau" an der Oberhavel zeigt auch nach drei Jahren noch alle Mängel des Prototyps / Teil 1 der Serie "Die neuen Quartiere"

Wohnen im Stadtzwischenraum

Die Sehnsucht nach dem Wohnen am Wasser hat in Berlin keine große Tradition. Zwar wurden im 19. Jahrhundert für die Residenz Brücken und Kanäle, Hafenbecken und Kais angelegt, und ein paar wenige Promenaden säumten das spiegelnde Element. Doch anstatt das Wasser als Kulisse für das Pläsier oder als Wohnstandort zu nutzen, wie es andere europäische Städte wie Paris, Amsterdam, Stockholm oder Venedig taten, gebrauchte die „Stadt am Fluß“ ihr Spreewasser stets nur zu praktischen und ökonomischen Zwecken. Berlin zeigte der Spree sowie der Oberhavel den Hintern. Müll, Öle und Schutt wurden hineingekippt. Entstanden vereinzelt doch Wohnanlagen, wie in Köpenick 1930 von Mebes/Emmerich, blieben sie in respektvoller Distanz zum Ufer.

Die „Wasserstadt Spandau“, die erste große Entwicklungsmaßnahme nach den Jahren der Stadterneuerung, ist dieser Sehnsucht nach dem Wohnen am Wasser und der Wasserlandschaft selbst geschuldet: Die Terra incognita Oberhavel, ein Niemandsland zwischen dem Hohenzollernkanal und der Siedlung Haselhorst, der historischen Zitadelle Spandaus und dem Gelände des Nordhafens, entdeckten lange nur Schiffer, manchmal auch Fußgänger und Radfahrer. Wer von den CCC-Studios auf Kopfsteinpflaster über die alte Eisenbahnbrücke zur Insel Eiswerder hinübergeht, bleibt mit dem Blick hängen am Wasser, am Grün entlang der Ufer, an kleinen Bootsschuppen und Piers, den backsteinroten früheren Feuerwerkerhallen und ausgedienten Schornsteinen. Im Kontrast dazu stehen die Fabrikschuppen auf der Insel und dem Westufer sowie die neue Industriearchitektur auf dem Spandauer „Festland“.

Neues Leitbild städtischen Wohnens

„Es war eine Entdeckung“, berichtet Jürgen Nottmeyer, Architekt und Geschäftsführer des „Projekts Wasserstadt“: „Das Gebiet nördlich des alten Spandauer Stadtkerns schien ein vergessener Ort in Berlin. Das Areal rund um die Insel Eiswerder glich einem untergenutzten und verkehrstechnisch schlecht erschlossenen Gelände, dessen Wasserraum für die Spandauer nicht zugänglich war – und ist.“ Gewerbeflächen und Lagerhallen, ausgediente Industrie- und Produktionsareale der Spandauer Rüstungswerke sowie Speicher für Mineralöle versperrten die Zugänge zum Nordhafen, zum Maselakekanal und zum Ufer. Über achtzig Prozent der Fläche waren versiegelt.

Als sich die „Leibnizgruppe“, die Architekten Nottmeyer, Hans Kollhoff/Helga Timmermann, Christoph Langhof und Claude Zillich, 1989 auf die Suche nach großen Wohnbauflächen machte, „verfolgte sie noch keine festumrissenen Pläne“, sagt Nottmeyer. Klar war nur ein neues Leitbild städtischen Wohnens und Arbeitens. Nicht mehr die traditionelle Großsiedlung, sondern die „Erlebbarkeit von Stadt und Urbanität“ sollte baulich realisiert, der „Stadtneubau“ aus der vorhandenen Topographie entwickelt werden. Die Lesbarkeit, Orientierung und Identität des besonderen Stadtraums, die Konzeption eigenständiger Quartiere und Grünflächen sowie die Herstellung neuer sozialer und ästhetischer Qualitäten, die diffuse Stadtstrukturen ausschließen, bildeten die Kernpunkte in der damaligen Diskussion. Die geplanten 13.000 Wohn- und 20.000 Arbeitsstätten, Schulen, Kindertagesstätten, Pflegeeinrichtungen und Sportstätten „besetzten in einer halbkreisförmigen Figur 200 Hektar Stadtzwischenraum“, erzählt Nottmeyer. Die Wiedergewinnung des industriell beschädigten Landschaftsraums zwischen Havel und der Altstadt Spandaus konstituierte einen Wohnbau neuen Typs, der die Spuren der Vergangenheit überwindet und die morphologische Struktur des Flusses, der Ufer und Pflanzen sichtbar macht.

Mit dem Konzept „Wohnen und Arbeiten am Wasser“ sollte im Sinne einer ökologischen „Stadt der kurzen Wege“ eine Mischung aus Wohnen, Arbeiten, Kultur, Freizeit und Landschaft gesucht werden. Die Architekten bündelten die Anlage zu neun städtischen Quartieren: Nordhafen, Eiswerder, Pulvermühle, Haveleck, Salzhof und andere Gebiete, wobei die Einheiten eine Abfolge städtischer Zentren darstellten; vom Stadtplatz mit dicht bebauten Wohnblöcken über Promenaden und Terrassen mit Zeilen bis zur weniger dichten Bebauung an der Peripherie. Erschlossen werden sollten die Quartiere durch eine Ringstraße, die die Havel überbrücken sollte.

Das prägende Element der Entwürfe bildet das Wasser, es bestimmt die Gestalt und Atmosphäre der Wasserstadt. Christoph Langhof beispielsweise plante lange Häuserzeilen entlang des Ufers, die zum Teil sogar aus der Havel aufstiegen, wodurch eine direkte Beziehung zwischen Wasser und Bebauung hergestellt wird. Perspektiven und große Plätze schaffen Schwerpunkte im Stadtgrundriß, die Insel Eiswerder soll zum Erholungsgelände umgestaltet, der alte Verlauf der Festungsmauer in einen Grünzug verwandelt werden.

Interessant an dem Konzept „Wasserstadt“ ist, daß es die städtebauliche Methode des heute praktizierten „Leitbildes Vorstadt“ vorbereitete. Es bedeutete die Absage an das „Haus im Grünen“. Statt der fraktalen und monofunktionalen Schlafburgen, der Verländlichung der Stadt durch die idyllische Reihenhaussiedlung oder Kleinhaus- Bastionen mit bewaffneten Gartenzwergen, entstanden auf dem Reißbrett der „Wasserstadt-Architekten“ kompakte Baumassen.

Anknüpfen an die Jahrhundertwende

Diese verdichteten Bauformen mit klaren städtebaulichen Grundrissen und Typologien bildeten den Widerspruch zu den Ready- Mades der großen Siedlungen. Heute liegt die Dichte und Geschoßhöhe, die Anzahl der Wohn- und Arbeitsstätten weit über den von Hans Stimmann eingeleiteten Vorstadt-Bildern. Diese sollen an die abgebrochene Tradition des Siedlungsbaus der Jahrhundertwende anknüpfen. Merkmale dieser Siedlungen und Häuser seien, so Stimmann, „daß sie baulich robust und langlebig, handwerklich solide, konstruktiv und anpassungsfähig, räumlich neutral und kleinteilig, flexibel und wechselnden Ansprüchen des Wohnens und Arbeitens genügen“.

Das Projekt „Wasserstadt“ zeigt bis dato die Mängel des Prototyps, mit dem experimentiert wird. Der Ärger über die Heimlichkeiten der Architekten und der Senatsverwaltung für Wohnungsbau ist überwunden, die vorschnellen Entschlüsse und idealtypischen Planungen konnten zum Teil korrigiert werden. „In unserem Interesse lag“, so Spandaus Baustadtrat Klaus Jungclaus (SPD), „die übermäßigen Dichten und Höhen herunterzunehmen und die geplante Uferbebauung zurückzudrängen. Es ist gelungen, die Ufer für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen.“

Weniger erfolgreich seien die Verkehrsplanungen verlaufen. Statt der Anbindung an die S- oder U-Bahn wird die künftige Wasserstadt an einen Shuttle-Verkehr angehängt. Er soll auf einer halbkreisförmigen Strecke die gesamte Siedlung durchqueren und bis zur U-Bahn-Station Spandau verlaufen. Ebenfalls problematisch sei die Erschließung durch zwei Hauptverkehrsstraßen. Der anvisierte Modal Split von 70 Prozent Öffentlicher Personennahverkehr und 30 Prozent Inidividualverkehr bleibe da genauso Illusion wie die Abschaffung des Fluglärms vom nahen Airport.

Vergangenheitsspuren in kontaminierten Böden

Jürgen Nottmeyer rechnet mit einer „mosaikhaften Zeitschiene“. Das rund 10 Milliarden Mark teure Wasserstadt-Projekt, das die landeseigene Entwicklungsgesellschaft TET koordiniert, hat sich zunächst mit den Problemen der Flächenumwidmung, der Altlasten und ihrer Finanzierung zu befassen. Die Vergangenheit des nördlichen Spandauer Raumes hat Spuren in Form von kontaminierten Böden hinterlassen. Teer, Öl und Kampfstoffe, Arsen und Industrieabfälle hinterließen Gift in der Erde. In der Folge, so Nottmeyer, werden Bauwettbewerbe auf den frei werdenden, zu drei Viertel in Privatbesitz befindlichen Arealen ausgeschrieben. Ersatzstandorte für das Kohlenlager seien bereits gefunden. 1994 würden Schultheiss und Rhenus ihre Standorte aufgeben.

Die Wasserstadt Spandau reift – langsam: Von den gewaltigen Baumassen und Riegeln der „Idealplanungen“ aus dem Jahre 1989 ist wenig geblieben. Für den ersten Bauabschnitt mit einer Fläche von 38 Hektar werden ab 1994 1.200 Wohnungen, drei Kindertagesstätten, eine Grundschule, Gewerbe- und Grünflächen entstehen. Uferseitig reihen sich, nach den Plänen des Berliner Architekten Nalbach, entlang einer Promenade achtgeschossige Bauten, am Wasser sind die öffentlichen Einrichtungen, im Süden kleine Einzelhäuser angesiedelt.

Im nördlichen Teil der ovalen Neubausiedlung geben lange Zeilen den Arbeitsflächen Raum. „Die Überlagerung der Nutzungszonen soll“, so der Architekt, „ein komplexes Geschehen in dem neuen Stadtquartier ermöglichen.“ Die offene Bauweise und die sorgfältige Reihung der Häuser indessen lassen die sattsam bekannten kleingärtnerischen Schwächen im Siedlungsbau erkennen. Wieviel Idylle verträgt die Wasserstadt?

Fortsetzung folgt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen