„Wörter, ihr seid immer bei mir“

■ Robert Creeley gilt als eine der bedeutendsten lyrischen Stimmen Amerikas / Heute abend liest er seine zart-präzisen und leise-intensiven Gedichte in Hamburg

Seit fünfzig Jahren schreibt der Amerikaner Robert Creeley Gedichte oder wohl eher Songs wie „Eine Form Frauen“: Mein Gesicht gehört mir. / Meine Hände gehörn mir. / Mein Mund gehört mir / aber ich nicht. Es sind offene Gedichte, die das Erleben des jeweiligen Augenblicks bezeugen und Realität auffassen als Summe von Momentaufnahmen. Creeley erklärt nichts, er schreibt von unser aller Erfahrung, in der Welt zu sein, wie du sie kriegtest. / Mehr gibts nicht, / gabs sowieso nie. Die Melodie dieser Erfahrung, der Klang des Erlebens, das Echo, das der andere auslöst, fängt er ein. „Worauf es mir letztlich ankäme als Schriftsteller, ist, daß Maß und Ort des gewöhnlichen Lebens erkannt werden.“

Natürlich geht es um die Suche nach der eigenen Identität: Wer / bin ich – / Identität / die singt. Immer wieder wird die Möglichkeit oder gerade die Unmöglichkeit von Nähe zwischen Menschen erlebt, und Creeley benötigt für deren Gestaltung nur kurze Sätze ohne Gefühlsschaum und Wortgedrechsel: Ich hasse die / Metaphern. / Ich will dich. Doch was bedeutet es, wenn Menschen einander kennen? Creeley mißtraut der Fiktion. Im Mittelpunkt seines einzigen Romans „Die Insel“, den Ernst Jandl in dem ganz eigenen Sprachrhythmus Creeleys übersetzt hat, steht der Schriftsteller John: „Er mußte irgendwie die Realität seines eigenen Fußabdrucks beweisen, da da sonst niemand war der es konnte.“ Der Leser wird Zeuge von Johns versuchter Annäherung an seine Frau: „Wer bist du, also. Sag mir was geschehn ist, dachte er. Er nahm ihre Hand, aber er konnte nicht näher.“

Schwerelos, wie hingesagt erscheinen die Zeilen – und doch hat Creeley seine Gedichte raffiniert komponiert. Ihm sei das Schreiben zugefallen, behauptet der Professor für Literatur in New York; außerdem schreibe er nicht über Themen, sondern im Schreiben erst offenbare sich ein Inhalt, dem er nicht vorgreifen könne: „Wir glauben eine Welt oder wir haben keine.“ Alle Aufmerksamkeit ist auf das Gedicht gelenkt, nicht auf dessen Gegenstand – wie genau fühlt es sich an, in dieser Zeit Mensch zu sein? Den Händen kommen / viele Dinge unter. In Zeiten der Not // ein wildes Frohlocken. Creeley lebt in und mit der Sprache: Wörter / Ihr seid immer bei mir, / es gibt nie / einen Ort // für sich. Er verleiht diesen Wörtern eine zarte Präzision und leise Intensität. Creeley ist die Welterfahrung Anlaß und Gehalt seiner Texte, dabei wird die Lust spürbar, die es ihm bereitet, wenn Erfahrungen zusammenschießen in Wörtern: Geistige Vergnügungen nähren / ein vages Arom.

Schlank und knapp sind die Gedichte – wie Creeleys Autobiographie, die kaum 60 Seiten umfaßt: „Manchmal erinnert unser Leben stark an ein Terrarium, in dem wir selbst leben, obwohl wir zugleich auch darüber die Aufsicht haben.“ Konzentriert auf wenige gravierende Ereignisse, ist darin von Verletzungen, aber auch von Stärkungen die Rede – dem frühen Tod des Vaters, dem Verlust eines Auges als Fünfjähriger, dem zeitweiligen Chaos seines Ehelebens, dem Taubenzüchten, der Ermutigung zum Schreiben. Daneben stehen Reflexionen über das schreibende Ich und das, was es unprätentiös zu sagen hat. Als literarische Vorbilder werden die Antiformalisten Walt Whitman, Ezra Pound genannt, insbesondere aber William Carlos Williams und Charles Olson, deren asymbolischer Konzeption Creeley folgt. Viele seiner Gedichte schließlich sind ihnen gewidmet.

In dem Gedicht „Lesung“ heißt es: Was war zu sagen, / im Halbkreis herum, / den Rängen, Schichten / dieser Menschen. Am heutigen Montag liest Robert Creeley, begleitet von seinem Übersetzer Klaus Reichert, um 20 Uhr im Literaturhaus. Frauke Hamann