Wochenvorschau von Susanne Messmer: Der harte Boden der Realität
Die vierte Januarwoche also schon. Es ist Zeit, erste Schritte auf dem steinharten Boden der Tatsachen zu wagen. Zum Beispiel so: Die Causa Holm, welche die Stadt bereits seit Anfang Dezember aufregte, scheint – zumindest in groben Zügen – ausgestanden. Die Koalition ist mitnichten daran zerdeppert, also mal lustig rein ins schöne Graubrot: Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher von den Linken, jetzt ohne Holm, weiht einen Zehngeschosser in Lichtenberg ein, direkt neben einem Getränke Hoffmann und Rabatti Möbeltrend. Richtfest war vor neun Monaten, damals war Lompschers Vorgänger Andreas Geisel (SPD) vor Ort. Okay: Es handelt sich um 113 günstige, barrierefreie Mietwohnungen, die gerade rar sind in Berlin. Trotzdem: Hätte es für den Anfang nicht wenigstens EINE Nummer glamouröser sein können?
„Im Adlon is Brad Pitt und der Washington Denzel. Im Autohaus in Schwedt is heut Achim Menzel.“ So sang vor über zehn Jahren Satiriker Rainald Grebe über das schöne Bundesland Brandenburg – eine seiner beliebtesten „Landeshymnen“ –, zumindest unter jenen Berlinern, die es am Wochenende eher in den Park zieht als in den überfüllten Regionalexpress. Nun gibt Grebe zu, dass ihn die Wirklichkeit überholt hat, dass auch er längst zwischen Berlin und Brandenburg pendelt – und nicht nur das. Am Donnerstag tritt er in einem Schwedter Autohaus auf.
Der Boden der Tatsachen ist nicht nur knochentrocken, er kann auch vergiftet sein – dieser Gedanke zumindest beschlich schon so manchen, der sich einen Stadtplan Berlins ansah, auf dem alle Orte verzeichnet sind, die an den Nationalsozialismus erinnern. Am Freitag ist wieder Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, und da werden nicht nur viele Kränze abgelegt, sondern es wird auch auf Orte aufmerksam gemacht, die weniger im kollektiven Bewusstsein verankert sind als andere – etwa aufs Arbeitserziehungslager Wuhlheide am südlichen Rand des Tierparks. Es war 1940 zur „Disziplinierung“ von sogenannten arbeitsunwilligen Arbeitern eingerichtet worden, ab 1942 wurden auch politische Häftlinge, Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene interniert. 3.000 von den insgesamt 30.000 Häftlingen, die hier bei schlechter Ernährung, Bekleidung und Unterkunft schuften mussten, kamen ums Leben.
Genug Wirklichkeit jetzt? Dann eine gute Nachricht am Schluss: Am Freitag gibt’s schon wieder Schulferien. Endlich wieder Weltflucht, zum Beispiel in die Berge und den Kopf in den Schnee stecken!
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