Wochen-Post: Die Mauer ist weg
■ Berliner Feldversuch im Endspurt
Drei Staatssekretäre sind nun Beamte auf Lebenszeit. Glückwunsch! Drei Kerle mehr, die sich um ihre Zukunft keine Sorgen mehr zu machen brauchen. Das läßt sich Berlin etwas kosten. Den Staatssekretär für Kultur gibt es aber immer noch nicht. Je länger er fehlt, desto weniger braucht man ihn noch. Vielleicht ist das Prinzip Diepgen ja die wahrhaft demokratische Regierungsidee: Lieblos regieren und ungeübt verwalten, das mobilisiert Sachverstand und Kompromißfähigkeit auf seiten der Regierten.
Das Experiment wird noch zwei Jahre dauern. 1999 wird wieder gewählt, sogar ein Termin bietet sich an: 9. November, wenn die Stadt zehn Jahre lang wieder eins gewesen sein wird. Bislang läuft es so gut, daß man es vielleicht 1998 schon auf die Bundesregierung übertragen kann. Bei den Steuergesprächen und der Rentenreform haben die Bonner von den Berlinern ja schon tüchtig gelernt. Den ersten Hauptsatz der Kommunikationstheorie – es ist nicht möglich, sich nicht zu verhalten – haben Kohl und Lafontaine schon außer Kraft gesetzt. Es ist doch möglich, Jahrhundertreformen zu beginnen und nichts zu verändern. Auch in Berlin gedeiht der Feldversuch.
Die Anwesenheit einer Regierung spürt man nur noch beim Lesen der bunten Seiten: Die Mauer ist weg, nun fehlt eine Gedenkstätte. Die Bezirksstadträtin holte die Abrißbirne, der Stadtentwicklungssenator ließ alles anhalten. Die Mauer ist weg, nun wollen wir Unter den Linden flanieren, aber der Senat weiß nicht, wie die Straße aussehen soll. Die Mauer ist weg, und 23 Bezirke schienen etwas üppig für ein ständig schrumpfendes Gemeinwesen. Landowsky kämpft im Namen der CDU und für den Status quo ante Mauerfall, und nun erweist sich, daß ausgerechnet die CDU-Wähler für die Bezirksgebietsreform sind und die PDS- Wähler dagegen.
Ah, die PDS. Was dem einen sein Zehlendorf, ist dem anderen sein Hellersdorf, und es kommt ja auch gar nicht auf 23 oder 12 an, sondern auf den Beleg für die These: Eine Regierung, die man nicht merkt, ist eine Regierung mit Zukunft. Und eine Opposition, die die Regierung unterstützt, hat auch gute Chancen, wiedergewählt zu werden. Mechthild Küpper
wird fortgesetzt
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