piwik no script img

■ Wo von Überflutung die Rede ist, läßt sich nur schwer ein Feld bestellenWir bleiben Kameltreiber

Es gibt ein arabisches Sprichwort, das sagt: „Alles, was mir unbekannt ist, ist eine dunkle Höhle.“ Das Fremde ist mir unerkannt, unentdeckt – bis ich es kennenlerne. Erst danach kann ich entscheiden, was gut daran ist oder nicht. Heute ist es selten geworden, daß jemand sagt, das Fremde sei eine interessante Sache. „Fremd sein“ wird für mich immer mehr zu: „unakzeptiert sein“, „ein Mensch zweiter Klasse sein“. Hier hat das Fremde oft einen negativen Beigeschmack, ohne daß es erst einmal erkundet wird.

Einmal hatte ich kein Auto und mußte mit der Straßenbahn zur Arbeit fahren. Vor mir saßen Hasan und Aid, zwei arabische Jugendliche. Sie sprachen über Fußball und deutsche Fußballmannschaften. Beide Jugendliche sind Schalke-Fans, und so ging es die meiste Zeit um diesen Verein. Sie kannten jedes Spiel und jeden Spieler und diskutierten darüber, was gemacht und was nicht gemacht werden sollte und wo der Trainer einen anderen Spieler einsetzen müßte.

Unterdessen starrten die anderen Passagiere diese „Ausländer“ an, die nicht nur soviel, sondern dazu noch in einer unverständlichen Sprache redeten. – „Können Sie nicht leise sprechen?“ – „Das gibt's doch nicht! Wir sind in Deutschland, nicht in der Türkei“, sagte eine Frau. Natürlich wußten sie nicht, daß sie sich über Araber und nicht über Türken aufregten. „Die sehen ja eh alle gleich aus...“

Als Hasan sich umdrehte, um der Frau zu antworten, sah er mich: „Hast du gesehen? Wir sprechen über Fußball, und sie fühlen sich gestört. Dabei haben wir doch über ihren Fußballverein geredet! Warum hassen sie uns? Seit Jahren leben wir hier, gehen zur Schule, machen keinen Ärger und halten uns an die Regeln. Was wollen sie noch von uns?“ Und Aid ergänzte: „All das und noch mehr. Und wir sind immer noch nicht integriert. Wir sind weiterhin ,Kameltreiber‘, mehr nicht. Das hat jedenfalls unser Lehrer gesagt.“

Ich wußte keine Antwort. Bleiben wir denn immer „die Fremden“? Wenn ich selbst offen für Menschen bin, muß ich auch offene Menschen treffen können. Am Anfang habe ich versucht, mich auf englisch und mit Händen und Füßen zu verständigen. Ich habe versucht, Freunde zu finden. Mit der Zeit hat das auch geklappt. Ich bin hier, ich lebe hier, ich habe viel geschafft. Und trotzdem lebe ich mit dem Gefühl, daß ich nicht erwünscht bin, unakzeptiert, fremd.

Auf einer Versammlung zum Thema „Flüchtlinge“ wurde ich einmal vom Oberbürgermeister persönlich als „Mitarbeiter“ vorgestellt. Er wollte deutlich machen, daß ich die Arbeit der Verwaltung auch unterstützt habe. Und prompt sagt jemand im Publikum: „Alle Libanesen müssen raus!“ Jedesmal, wenn ich anfange, mich wohl zu fühlen und vergesse, daß ich fremd bin, passiert etwas oder es fällt eine Bemerkung, die mich daran erinnert: ich bin fremd.

Heute führe ich einen Laden. Es kommen viele deutsche Kunden, weil sie wissen, daß sie hier immer frisches Obst und Gemüse bekommen. Es gibt viele Waren, die sie nicht kennen. Einmal habe ich versucht, einer Frau zu erklären, was Ochraschoten sind. Und sie sagt: „Igitt, die sehen aber eklig aus.“ Eine andere hat uns gefragt, ob wir einen Ölradiator haben wollen. „Aber wenn Sie den abholen“, hat sie gesagt und mißtrauisch nach meinem Kollegen geschielt, „bringen Sie bitte diesen schwarzen Mann nicht mit. Der sieht komisch aus.“ Und als ich den Radiator abgeholt habe, durfte ich keinen Mucks von mir geben, weil gerade Nachbarn durchs Treppenhaus gingen und niemand wissen sollte, daß ein Ausländer im Haus ist. Aber es gibt auch andere: eine Frau kauft seit den Vorfällen in Rostock bei uns ein, um ihre Solidarität zu zeigen.

Menschen sollen andere nicht vorverurteilen. Wenn ich offen bin und die Mentalität der anderen kenne, brauche ich mich ja auch nicht über sie zu ärgern.

Zum Beispiel hier bezahlt im Restaurant jede(r) für sich. Das ist eben so. Für uns ist das ziemlich komisch, aber Einheimische haben nun einmal diese Tradition. Bei uns spielt die Familie eine große Rolle, Freunde spielen eine große Rolle. Hier spielt mehr jede(r) für sich eine Rolle.

Die libanesischen Kunden haben andere Themen. Sie fragen: „Weißt du etwas Neues? Wie ist die Gesetzeslage? Was werden Sie mit uns machen?“ Sie erzählen von Belästigungen in der Öffentlichkeit. Eine Kundin kam ganz aufgeregt zu mir, weil sie in der Straßenbahn von Jugendlichen angespuckt worden war. Meiner Mutter und meiner Schwester ist das vor einiger Zeit auch passiert.

Es gibt Probleme mit Ausländern, und es gibt Probleme unter Ausländern. Aber nicht alle Probleme kommen von Ausländern. Jeden Tag dieses Gerede in den Medien, all dieses Blabla. Je mehr Politiker über „Ausländer“ reden und die Worte „Ausländer“ und „Problem“ miteinander verbinden, desto mehr wächst auch der Ausländerhaß. Menschen, die sich um Verständigung bemühen, haben es jetzt schwer. Wo von Überflutung die Rede ist, läßt sich nur schwer ein Feld bestellen. Imad El Zein

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen