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Archiv-Artikel

Wo bleibt die Förderung?

betr.: „Das Solibarometer fällt“ von Barbara Dribbusch, taz vom 9. 11. 05

Seit Jahren verfolge ich mit wachsendem Zorn das ebenfalls wachsende Gerede vom Missbrauch des Sozialsystems durch Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger. Sie haben Recht: Es ist eine Grundstimmung im Lande, es wird nur von denen gesprochen, die das System ausnutzen (einer Minderheit also), und darüber, was den Joblosen zugemutet werden müsse. Aber dass wir uns hundertfach vergeblich auf Stellen bewerben, dass wir keinerlei Vermittlung, Fortbildung, Coaching, Umschulung vom Arbeitsamt bekommen, davon ist keine Rede. Ich zum Beispiel wäre bereit, mich selbstständig zu machen, aber unter den gegebenen Bedingungen ist es für mich unmöglich: Ich habe als Arbeitslose kein Recht auf Vollzeitbetreuung für meine vierjährige Tochter, soll in den verbleibenden zwei, drei Stunden, die ich frei ohne sie verbringen kann, Jobs recherchieren, Bewerbungen schreiben, Behördengänge erledigen, Anträge stellen, Materialien erneuern … Da bleibt keine Zeit, eine Freiberuflichkeit aufzubauen.

Und nur für das Konzeptionieren eines eigenen Standbeins und für Kundenakquise bekomme ich keine Vollzeitbetreuung. Da muss ich schon Resultate vorlegen: feste Kunden plus ausgestellte Rechnungen für erledigte Arbeiten. Wie soll das gehen? Dazuverdienen darf ich auch kaum, denn das meiste würde mir eh gleich wieder abgenommen. Und eingestellt werde ich trotz Berufsausbildung und Hochschulstudium auch von niemandem, weil ich allein erziehend und Mitte 40 bin.

Bei solchen Verhältnissen wirkt es wie ein Schlag ins Gesicht, wenn nur über Schmarotzerei und Zumutbarkeiten gesprochen, nicht aber über Förderung gesprochen wird, über wirklich fruchtbare Konzepte. CORNELIA EDEL, Hamburg

Nach einer Studie der Uni Bielefeld gehen dem Staat jährlich 210 Milliarden Euro durch Schwarzarbeit, Subventionsbetrug, Steuerhinterziehung etc. verloren, während es durch die so genannten Sozialschmarotzer nur 3 Milliarden Euro sind, also ein Siebzigstel.

Woran liegt das, dass die sozial schwachen Menschen so diskriminiert werden? Zum einen können sie sich nicht wehren, weil alle Nachrichten über den wahren Zustand durch die Medien gefiltert werden; zum anderen können diese so genannten Delikte leichter verfolgt werden („gläserner Mensch“). Bei Steuer- oder Subventionsbetrug braucht man Fachleute zum Nachweis, und davon gibt es beim Zoll oder Finanzamt zu wenige. Und sind sie gut, werden sie von der Wirtschaft aufgekauft. PETER MIM, Gießen