Wissenschaftsrat über Plagiate: Wer promoviert denn überhaupt?
Der Wissenschaftsrat will, dass Unis die Kontrolle von Dissertationen verbessern. Bisher wissen die Universitäten aber nicht einmal, wer alles promoviert.
BERLIN taz | Es ist, als ob eine Landschildkröte anfinge zu rennen: der Wissenschaftsrat - dem Weisheit und Behäbigkeit nachgesagt werden - hat binnen eines halben Jahres Stellung zu den Plagiatsaffären der letzten Monate genommen. "Für uns eine recht hohe Reaktionsgeschwindigkeit", sagte der Vorsitzende Wolfgang Marquardt, als er am Montag Vorschläge zur Sicherung der Qualität von Promotionen vorstellte.
Der Rat, der die Bundesregierungen und die Länder berät, sieht vor allem die Universitäten in der Pflicht. Sie müssten für die Qualität der Doktorarbeiten geradestehen, und zwar durch ein ausgeklügeltes System der Checks and Balances.
Genau dieses System gegenseitiger Kontrolle hatte in der Vergangenheit jedoch teils spektakulär versagt. Der prominenteste Plagiator Karl-Theodor zu Guttenberg legte im Jahre 2006 eine Arbeit an der Universität Bayreuth vor, die sein Doktorvater mit der Bestnote bewertete. Erst 2011 fielen einem Berliner Wissenschaftler Ungereimtheiten auf, eine Internetgemeinde deckte das ganze Ausmaß der Plagiate auf. Knapp die Hälfte der Arbeit war kopiert.
Gutachten durch Komitees angeregt
Der Wissenschaftsrat schlägt vor, zunächst einmal zu erfassen, wer überhaupt promoviert. Denn bisher weiß niemand, wie viele Männer und Frauen derzeit an Doktorarbeiten werkeln. Außerdem regt der Rat an, dass alle Universitäten mit ihren Doktoranden Betreuungsvereinbarungen abschließen, in denen geregelt ist, wie viel Betreuung die Uni bietet und was die Promovenden liefern. Als weiteren Schritt weg vom traditionellen Meister-Schüler-Verhältnis, wie es auch Guttenberg und sein Doktorvater pflegten, rät der Rat, die Betreuung auf mehrere Füße zu stellen und Promotionskomitees die Arbeiten begutachten zu lassen.
Der Informatikprofessorin Debora Weber-Wulff, die selbst als Plagiatsjägerin im Internet aktiv war, gehen die Vorschläge allerdings nicht weit genug. Sie fordert ein unabhängiges zentrales Institut, das die Unis kontrolliert und auch Stichproben nimmt. "Die Unis haben bisher nicht bewiesen, dass sie imstande sind, die Qualität der Promotionen selbst sicher zu stellen."
Für den Hochschulexperten der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Andreas Keller, sind auch die Rahmenbedingungen der Promotionen diskussionswürdig. "Die Arbeitsverträge sind in der Regel auf weniger als ein Jahr befristet, in dieser Zeit entsteht keine Doktorarbeit, nicht einmal in der Medizin."
Die ausufernde Zahl medizinischer Doktorarbeiten steht ebenfalls auf der To-do-Liste des Wissenschaftsrates. Eine Promotionsquote von bis zu 75 Prozent widerspricht hier offenkundig dem, was Marquardt als den einzigen Zweck einer Doktorarbeit bezeichnet: wissenschaftliche Erkenntnis voranzubringen und keinen Status zu verleihen. Den Medizinern werde man sich im Laufe des nächsten Jahres zuwenden, sagte Marquardt. Ganz gemächlich also.
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