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Wissenschaftler gegen ExtremismusklauselUnter Generalverdacht gestellt

Die Klausel forciert ein Klima des Misstrauens, schreiben über 80 Experten und Initiativen an Kanzlerin Merkel. Es sei nicht Aufgabe der Zivilgesellschaft, Kollegen zu bespitzeln.

Will trotz des scharfen Gegenwindes weiter lächeln: Extremismusklausel-Verfechterin Kristina Schröder. Bild: dpa

BERLIN taz | Ein breites Bündnis von zivilgesellschaftlichen Initiativen, Wissenschaftlern und Bildungsträgern hat in einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gegen die Extremisklausel protestiert. "Der Zwang für die betroffenen Träger, eine ,Demokratieerklärung' zu unterschreiben (…) forciert ein gesellschaftliches Klima des Misstrauens", heißt es in dem am Freitag veröffentlichten Schreiben. Eine Pädagogik, die auf demokratischen Prinzipien beruhe, brauche Vertrauen.

Den Brief hat die sogenannte "Task Force Education on Antisemitism" - auf Deutsch: Arbeitsgruppe Erziehung gegen Anisemitismus - des American Jewish Committee initiiert. Er wurde von über 80 Initiativen und Einzelpersonen unterzeichnet, darunter etwa das Jüdische Museum in Berlin, die Amadeu Antonio Stiftung oder der Verein "Gesicht Zeigen!", und ist an Merkel, das zuständige Bundesfamilienministerium und das Innenministerium gerichtet.

Seit 2010 müssen Initiativen, die sich gegen Fremdenfeindlichkeit engagieren, ein Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung unterschreiben, um aus Bundesprogrammen wie "Toleranz fördern - Kompetenz stärken" Geld zu bekommen. Auch für ihre Partner müssen sie sich verbürgen. Es sei eine Selbstverständlichkeit, dass eine Initiative, die vom Bund gefördert wird, auch die Werte der Verfassung dieses Staates teile, sagte der Sprecher des Familienministeriums, Hanno Schäfer, am Freitag der taz.

"Projektträger müssen sich außerdem informieren, ob die Leute, mit denen sie zusammenarbeiten, auf dem Boden der Verfassung stehen", sagte Schäfer. Früher sei dies implizit gewesen durch die Zusammenarbeit mit dem Bund. Das einzig Neue sei die nun verlangte aktive Bestätigung durch eine Unterschrift.

Genau das ist für Ingolf Seidel von der Antisemitismus-Taskforce ein Knackpunkt. "Gesamte Projekte werden unter Generalverdacht gestellt." Außerdem sei das aktive Einstehen für Demokratie wichtiger, als eine Formel zu unterschreiben.

"Es kann nicht die Aufgabe einer demokratischen Zivilgesellschaft sein, Kollegen zu bespitzeln", sagte Seidel. Er vermutet dahinter auch ein Aufweichen der Gewaltenteilteilung, wenn Aufgaben des Verfassungsschutzes an die Zivilgesellschaft delegiert werden sollen.

Für den offenen Brief habe man gezielt Experten angesprochen, um die Diskussion zu versachlichen, erklärte Seidel: "Es ging uns darum, aus fachlicher Sicht Probleme aufzuzeigen. Wir hoffen, so die bestehende Debatte zu erweitern."

Die Unterzeichner führen in dem Brief aus, es sei nötig, kontrovers zu diskutieren und unterschiedliche Standpunkte zu thematisieren. "Wenn die Zielgruppen unserer Arbeit das Gefühl vermittelt bekommen, dass das Agieren von Pädagoginnen und Pädagogen der verlängerte Arm obrigkeitsstaatlichen Handelns ist, wird diese Arbeit unglaubwürdig", hieß es in der Erklärung.

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19 Kommentare

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  • KK
    Krischan Klambüdel

    Die Überprüfung und Verfolgung gewalttätiger, fremdenfeindlicher und verfassungsfeindlicher Personen (Terroristen), Institutionen, Parteien und Vereine ist Aufgabe der jeweiligen staatlichen Exekutivorgane (Polizei, Kriminalpolizei, Bundespolizei (neu), Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst).

     

    Personen, Vereine, Institutionen und Parteien werden im eigenen Interesse bestimmte Kooperation mit Personen oder Vereinen oder Parteien nicht eingehen, denn sonst wird ihnen dies als Beihilfe zu kriminellen Handlungen angelastet werden.

     

    Sprich: wenn ein Verein, der Neo-Nazis oder Kriminellen beim Ausstieg aus der rechtsradikalen, extremistischen, kriminellen Szene hilft, eben einem Neo-Nazi bzw. Kriminellen hilft, dann ist das gut.

    Mit der Extremismus-Klausel würde diesem Verein aber verboten werden, dem Neo-Nazi oder dem Kriminellen beim Ausstieg aus der Szene zu helfen, eben weil der Neo-Nazi bzw. der Kriminelle eben Extremisten sind.

     

    So ein rechtlicher Ansatz geht schlicht an der Natur der Sache vorbei.

     

    Vereine, die Menschen beim Ausstieg aus Drogen-, Kriminellen- oder Rechtsradikalen oder Fundamentalistischen Szenen helfen, helfen ja gerade Menschen, die "Extremisten" sind. Würde diesen Vereinen verboten werden, den teilweise kriminellen Extremisten zu helfen, dann hilft eben niemand mehr diesen Menschen und sie bleiben Extremisten.

     

    Bei der Polizei o.ä. sieht das anders aus, aber die sind eben auch kein Verein sondern eine Institution der staatlichen Exekutive und die sollen schlicht Kriminelle fangen und maßvoll die Einhaltung der Gesetze überwachen, kein Überwachungsstaat bitte.

  • CA
    Christian Alexander Tietgen

    Werden konservative Kreise von der Linken nicht auch unter den Generalverdacht des Rechtsextremismus gestellt?

  • GA
    Geht arbeiten

    Wenn der Aufschrei aus Soziologen / Pädagogen Erlebnisstrafe /Betreuungs - "Wissenschaftler" Ecke so groß ist, hat die Ministerin Schröder alles richtig gemacht. Wer die Extremismusklausel, also das Bekenntnis zu Grundgesetz und Demokratie ! nicht abzeichnet, verliert gegebenenfalls Fördermittel. Und schon ist der Kern des Problems gefunden, die Herrschaften fürchten um ihre Pfründe, die sie im Kampf gegen Rechts nachgeschmissen bekommen. Vorschlag zur Güte - da es den angeblichen "Wissenschaftlern" sowieso nur um die eigene Absicherung geht, wechselt die Pferde und bekämpft den Linksextremismus. Da gibt es wesentlich mehr zu tun. Aber dann muss sich der Bekämpfer ja selbst bekämpfen. Das ist nun wirklich zuviel verlangt, aber eigentlich, schön wärs.

  • CS
    carlo schmidt

    Natürlich ist es Aufgabe einer Ministerin zu überprüfen ob jemand dem sie haufenweise Geld zusteckt, ob der demokratische Werte vertritt. Man sollte diesen sogenannten " Experten" auch mal so ein Papier zum unterschreiben vorlegen. Die Aktion heißt schließlich nicht , den Bock zum Gärtner machen.

  • V
    Vic

    Eine Erklärung pro unsere Verfassung ist absolut in Ordnung. Wer die nicht unterschreibt, der sollte sein Geld nicht vom Staat erhalten. Das sage ich als Steuerzahler !

  • V
    vic

    Es mangelt nicht an beobachtungswerten Extremisten. Sie sind zu finden in Bundestag, Bundesrat, Kommunen, Städten und Gemeinden. Der Rest in oder im Umfeld der NPD.

  • DW
    das wird man ja wohl noch sagen dürfen...

    "Es ging uns darum, aus fachlicher Sicht Probleme aufzuzeigen."

    ...dann sollte doch ma ganz klar erwähnt werden, dass diese ganze extremismus-theorie völliger schwachsinn ist und auch aus wissenschaftlicher sicht keineswegs haltbar ist.

    die ganze diskussion um "auf dem boden der verfassung stehend" ist totaler bullshit und verhält sich vom argumentationsverlauf ganz nah bei der "migrantendiskussion" (ua) auf. egal ob ein mensch einreist oder eine gruppe sich engagiert, sie muss immer mit den füßen auf dem boden der verfassung stehen, denn sonst gibts wohl einige probleme oder etwa nicht?!?

     

     

    http://www.engagiertewissenschaft.de/de/inhalt/Publikation_Gibt_es_Extremismus_von_Weiterdenken_eV_veroeffentlicht

  • H
    hmm

    die regierung könnte ja auch mal hingehen und verlangen, dass alle träger, die mit sozialhilfeempfängern arbeiten, sich verpflichten, der verfassung treu zu sein und ihre kooperationspartner dahingehend zu überprüfen: das würde schnell zu einem debakel führen, wo ja das bundesverfassungsgericht bescheinigt, dass hartz4 nicht der verfassung entspricht...der regierung und der schröder liegt nichts an der verfassung, vielmehr an einer paranoia gegenüber vermeintlich linken, linksextremen usw aus den augen der unreflektiert konservativen...

  • GF
    Gerda Fürch

    Und was ist mit den revanchistisch gesinnten Initiativen gegen Links? Dazu zähle ich - beispielsweise - den sehr rührigen Bund der Vertriebenen mit seiner Zwangsmigrantin Erika Steinfach und mit seinen zahlreichen Landesverbänden, die alle großzügige Bundesfördermittel und Landesfördermittel aus dem Staatssäckel erhalten, angeblich aus dem Kulturfonds zwecks "Kulturförderung"???

  • S
    Sloopy

    Alle Stasi-Akten ausgraben-, seit der Kohl-Regierung!- dann könnte das Volk einmal sehen, wer hier in diesem Land die Heuchler und diejenigen sind, die etwas zu verbergen haben.Warum lässt Kohl sich nicht in die Akten schauen, warum Merkel nicht? Wer nichts zu verbergen hat, braucht auch nichts zu befürchten.Das ist eben das alte Problem: wer selbst nicht koscher ist traut auch anderen nicht.

  • R
    Ruslan

    Ich finde es traurig, dass es Veranlasung gibt, eine Erklärung für die FDGO schriftlich zu fixieren. Armselig ist es jedoch, dass Organisationen , die Geld und Privilegien aus dieser Gesellschaftsordnung in die eigenen Taschen wandern lassen, sich so dermassen gegen ein Bekenntnis zu eben dieser Gesellschaftsordnung wehren. Diese Reaktion gibt doch erst Recht Anlass zur Vermutung, dass die FDGO nicht der Boden ist, auf dem man seine "Aktionen" ausführen möchte. Da helfen auch fantasievolle Namen mit griffigen Reflexworten wie "jüdisch" oder "Rechts" nicht weiter.

  • BZ
    Brigitte Zypries
  • R
    reblek

    "Extremisklausel, Anisemitismus". Neue Rechschreibung?

  • KG
    Kein Geld für Linksextremisten

    Man muß sich mal vorstellen was los wäre bei einem "Kampf gegen Links" dessen Ziel es sein sollte aus unserer Geschichte und der Geschichte der Welt zu lernen und nie wieder Sozialismus oder Kommunismus zuzulassen. Besonders wenn dabei Neonazigruppen mit Steuermitteln gefördert würden um besser andere Sozialisten zu bekämpfen. Das Winden und Drehen linksextremer Gruppen die unser freies System gerne beseitigen und mit einer Freiheit wie man sie von Kuba bis Nordkorea kennt ersetzen möchten und dennoch finanziell gefördert werden ist nur noch ekelhaft. Sich zu unserer Verfassung zu bekennen gefährdet gar nichts außer das ideologischer Weltbild von Extremisten. Solchen Gruppen Geld zu geben weil sie keine Nationalsozialisten mögen ist genauso falsch wie Nationalsozialisten Geld zu geben weil sie keine anderen Sozialisten und deren Endziel Kommunismus mögen. Zur Erinnerung: Nationalsozialisten ca. 50 000 000 Tote, restliche Sozialisten oder, wie sie sich außer den roten Khmern fälschlicherweise bereits nannten, Kommunisten ca. 120 000 000 Tote. Nationalsozialisten 12 Jahre Diktatur, restliche Sozialisten 40 Jahre Diktatur auf unserem Boden und in Osteueropa weltweit immer noch andauernd. Das geht nur immer noch nicht in die Köpfe von Leuten die glauben sie bräuchten das Ganze noch einmal weil diesmal SIE natürlich endlich das Nirvana schaffen würden. Solche Gruppen haben sehr starken Rückhalt in den alten Medien und seinen altlinken Meinungswächtern die gerne mit den Ideologien bei Salongeschwätz und einem guten Roten herumspielen. Nie wieder Sozialismus, nie wieder Diktatur, nie wieder Krieg.

     

    P.S.: Liebe 68er-Kommentatoren, spart euch Relativierungsgeschwätz. Schreibt lieber ein Buch über euren Kampf 1968 bis 1985. Titelvorschlag: Ich war dabei.

  • JR
    Josef Riga

    Ja ist die Merkel denn von allen gut(t)en Geistern verlassen?

    Jetzt auch noch Gessler-Hüte für Wissenschaftler aufstellen, um die FDGO zu verehren...

    Nur gut dass eine jüdische Gruppe den Protest dagegen anführt; das kann sie schlecht ignorieren, bei ihrem dauernd zusr Schau gestellten Philosemitismus.

  • A
    A.Grech

    Wird Zeit, das ganze Programm einzustellen.

     

    Was da im Wesentlichen gefördert wird, ist Scheinheiligkeit und Verlogenheit.

     

    Da gibt's deutlich unterhaltsamere Methoden, Staatsknete zum Fenster hinauszuwerfen.

  • S
    Stefan

    So zu tun als gäbe es Extremismus und Fanatismus, bis hin zum Terrorismus nicht ist blind. Es gibt ihn auch links. Und die Doppelmoral mancher Linker ist anstrengend. Es gibt eine mehrheit gegen Rechtsextremisten. Das ist wichtig. Linksextremisten sind da unwichtig.Sie sollte sich selber hinterfragen.

  • C
    Chris

    Man darf nicht vergessen, dass die liebe Frau Schröder aus der ganz rechten Ecke der CDU Hessen kommt...

  • BR
    Buck Rogers

    Wessen Idee war diese Gesinnungsschnüffelei nocheinmal? Hatte nicht Rot-Rot in Meck-Pomm erstmals einen Gesinnungstest für Erzieher gefordert? Und nun, wo die Geister, die sie riefen...

    Prinzipiell steht doch die Frage im Raum, warum sich manche Institutionen so vehement dagegen wehren, sich zum Grundgesetz zu bekennen. Und der ist bestimmt nicht darin zu finden, daß sie sich unter Generalverdacht sehen. Viel eher ist doch zu vermuten, daß ihre Kontakte zu linksradikalen Republikfeinden ihre Einnahmen gefährden könnten.