"Wir sind anders, weil wir anders behandelt werden"

KOMMUNIKATION Man solle doch mehr nach dem Verbindenden suchen und das Gemeinsame zum Thema machen, meinen die Schauspielerbrüder Marković

Slaviša Marković

Foto: Ancuța Iordăchescu

geboren 1971, hat Schauspiel studiert und mit seinem Bruder Nebojša das Rroma Aether Klub Theater gegründet, eine Mischung aus Café und Theater, das von 2006 bis Ende 2013 in der Neuköllner Boddinstraße zu finden war.

taz: Slaviša Marković, bei der Eröffnung einer Beratungsstelle für Roma haben Sie einmal eine kleine Szene mit den Gästen aufgeführt. Es ging darum, was passiert, wenn verschiedene Begrüßungsrituale aufeinandertreffen. Ein Konflikt, der nur zu lösen ist, wenn man Wissen übereinander hat. War das ein Plädoyer für interkulturelle Kompetenz?

Slaviša Marković: Wissen übereinander ist für das Verständnis der anderen wichtig. Aber dabei geht es nicht nur um interkulturelle Kompetenz, sondern um viel mehr. Es geht darum, über den eigenen Tellerrand zu schauen. Manchmal ist es dafür wichtiger, neue Fragen statt Antworten zu finden.

Nebojša Marković: Wenn ich mich mit Menschen unterhalte, denke ich nicht darüber nach, ob sie interkulturell kompetent sind oder nicht. Es geht doch vielmehr darum, wie man sich entscheidet zu handeln: menschlich oder nicht menschlich. Und wie offen man für neue Erfahrungen ist. Und dabei geht es um praktische Erfahrung, nicht um das, was man in Büchern gelesen hat.

Sie hatten gemeinsam das Rroma Aether Klub Theater in Neukölln. Ging es da um die Vermittlung solchen Wissens? Oder anders gefragt: Warum hieß es Rroma-Theater?

SM: Es ging nicht um pädagogische Hilfe für irgendjemanden. Wir wollten Theater machen und uns mit unseren Themen beschäftigten. Das Theater hieß so, weil wir damals ein starkes Bedürfnis hatten, uns als Roma zu identifizieren.

Würden Sie das jetzt anders ­sehen?

SM: Heute würde ich sagen, es geht nicht um plakative ethnische oder nationale Identifizierung, davon haben wir genug. Es geht um inhaltliche Arbeit, um Aussagen. Das sagt jedenfalls ein Teil von mir. Ein anderes sagt aber, dass, wenn es um uns Roma geht, unabhängig davon eine positive Identifizierung immer gut ist. Als Stärkung und Referenzsystem.

Wie Vorbilder?

SM: Ja. Es müsste viel mehr positive Identifikationsangebote geben.

Entwickelt sich da was?

SM: In Berlin auf jeden Fall. Es gibt die Galerie Kai Dikhas (siehe Text nebenan) für Romakunst, das Kulturzentrum Rom­noKher, es gibt starke Vereine junger Sinti und Roma. Quantitativ ist das auf jeden Fall mehr. Qualitativ ist es auch oft gut, etwa, was die Jugendorganisationen Amaro Drom und Amaro Foro machen. Im unserem Bereich, der Kultur, gibt es aber noch viel Raum.

Was könnte den füllen?

SM: Wir suchen ständig nach richtigen Formen der Theaterarbeit und probieren verschiedene Sachen aus. Wir haben vergangenes Jahr im Juni an der Volksbühne im Rahmen des Jugendtheaters P14 mit Jugendlichen und Erwachsenen das Stück „Pinocchio ex Machina“ inszeniert und dabei den klassischen Pinocchio mit der ganzen Truppe neu entwickelt – mit Verbindungen zum Romathema.

Wie lässt sich eine Holzpuppe mit den Roma verbinden?

SM: Genau so! Pinocchio sagt, er wolle auch ein richtiger Junge sein. Aber er ist aus dem falschen Material, aus Holz. Und er hat so viele Dummheiten gemacht. Pinocchio ist ja ein Erziehungsroman, in dem die Puppe als Beispiel für das genommen wurde, was stört und nicht gut ist. Dafür dienen die Roma ja oft auch.

Abgesehen von eigenen Projekten: Spielen Sie auch in Produktionen anderer RegisseurInnen?

SM: Wir waren bis Mai ein Jahr lang am Grillo-Theater in Essen und haben dort in der „Odyssee“ von Volker Lösch gespielt. Da gibt es die Griechen, die sich verfahren haben, und ganz viele andere Kreaturen wie den Zyklop. Die wurden alle von Roma gespielt.

Warum das?

NM: Lösch hat die „Odyssee“ als prägendes Werk der sogenannten abendländischen Tradition zu einer Geschichte zwischen sechs Griechen und sechs anderen gemacht. Und das waren Roma. Wir haben das Stück also mit sechs Biodeutschen, so haben wir sie aus Spaß genannt, und sechs Romakollegen gespielt. Die Roma haben sozusagen das unbekannte Andere, die Monster verkörpert. Lösch hat das so inszeniert, dass diese Monster quasi immer als Projektionen der biodeutschen Griechen zu betrachten waren. Dazwischen gab es Interview­sequenzen mit uns Roma über unsere realen Erfahrungen.

Wie ist das für Sie, bei solchen Inszenierungen von „Biodeutschen“ über Roma mitzumachen?

SM: Das war in diesem Fall sehr spannend: die Arbeitsweise, wie Lösch das Stück entwickelt hat, aber auch die Perspektive, mit der er an das Thema herangeht. Trotzdem hatte ich manchmal etwas Frust, aber das betrifft nicht nur diesen Fall.

Inwiefern?

SM: Das Thema Roma ist immer eine Art Gastthema an den Spielstätten. Manchmal befasst man sich damit, wie eine Art Rechtfertigung. So kann sich einfach keine kontinuierliche Auseinandersetzung mit dem Thema entwickeln.

NM: Und oft sind das Thema dann Unterschiede. Selten wird nach dem gesucht, was verbindet. Dabei ist das vielleicht wichtiger, das, was wir gemeinsam haben. Damit lässt sich emo­tio­nale Verbundenheit herstellen.

Im Fall der Roma scheint das besonders schwer zu sein, diese Verbundenheit und darüber auch Solidarität herzustellen. Was doch mit anderen Einwanderergruppen mittlerweile ganz gut funktioniert.

Nebojša Marković

Foto: Ancuța Iordăchescu

geboren 1980, ist wie sein Bruder Slaviša Schauspieler. Zusammen haben sie mehrere eigene Theaterstücke realisiert. Aufgewachsen sind die beiden Brüder in einer Kleinstadt in der Nähe von Niš in Serbien, Ende der 90er Jahre kamen sie nach Berlin.

NM: Es geht um Macht! Alle anderen haben eine Struktur hinter sich, einen Staat, ein Herkunftsland. Roma haben noch nie Macht gehabt, kein Land, keine Soldaten. Deshalb hieß unser Theater auch Aether: Nur dort gibt es uns. Offiziell nicht. Es gibt nirgendwo ein Roma­rathaus. Junge Roma haben, anders als junge Palästinenser, auch kein Land, dessen Umriss sie sich als Kette umhängen können, auch wenn es in der Realität nicht in dieser Form existiert. Wir mussten uns immer mit den anderen arrangieren.

Und worauf beruht Roma­identität?

SM: Romaidentität ist eigentlich dasselbe wie deutsche Identität. Nur eben ohne Land und staatliche Macht.

NM: Ich bin in Serbien aufgewachsen und habe mich dort lange als Teil der Gesellschaft gesehen. Erst als ich zur Schule kam, habe ich gemerkt, dass die Gesellschaft das nicht so sieht. Da wurde mir klar, dass wir anders sind, weil wir anders behandelt wurden.

SM: Unsere Eltern haben uns immer das Gefühl vermittelt, dass wir dazugehören. Das war sehr wichtig, auch für später, und das hat anfangs auch gut geklappt. Bis wir in die erste Klasse kamen.

Was passierte dort?

SM: Keiner wollte neben uns ­sitzen.

NM: Ich durfte nicht in die Theater-AG, sondern musste Folk­lore tanzen, weil wir Roma ja so gut tanzen können. Als ich dann nach Berlin kam, habe ich mich relativ schnell zugehörig gefühlt. Aber es gibt da eine Grenze, die man irgendwann erreicht. Das erzählen uns auch Romafreunde aus Deutschland. Dabei sind Roma ein Teil dieser Gesellschaft seit Hunderten von Jahren, und sie prägen sie auch. Wir sind keine Einwanderer, keine Migranten, auch wenn das gerne so betrachtet wird. Keiner kann uns sagen: Geh dahin, wo du herkommst. Das gibt es nicht. Das müssen die Staaten Europas endlich akzeptieren. Davon träume ich.

Interview Alke Wierth